70. Internationales Filmfestival Berlin

20.02.2020 bis 01.03.2020
Berlin


Die Ökumenische Jury der 70. Berlinale verlieh ihren Preis im Internationalen Wettbewerb an "There Is No Evil" (Sheytan vojud nadarad, Iran 2020) von Mohammad Rasoulof, der auch den Goldenen Bären gewann. Im Panorama vergab die Jury ihren Preis an "Otac" (Vater) von Srdan Golubović aus Serbien und eine Lobende Erwähnung an "Saudi Runaway" von Susanne Regina Meures aus der Schweiz, den Forumspreis gewann der japanische Dokumentarfilm "Seishin 0" (Zero) von Kazuhiro Soda.

Bären-Gewninner waren neben Rasoulof "Never Rarely Sometimes Always" von Eliza Hittman (Großer Preis der Jury), "The Woman Who Ran" (Domangchin yeoja) von Hong Sangsoo (Beste Regie), Paula Beer (Beste Darstellerin) für ihre Rolle in "Undine" von Christian Petzold und Elio Germano (Bester Darsteller) für "Volevo nascondermi" (Hidden Away) von Giorgio Diritti. Einen Silbernen Bären für das Beste Drehbuch erhielten die Brüder Fabio und Daminao D'Innocenzo für ihren Film "Favolacce" (Bad Tales), in dem sie auch Regie führten.

Am 20. Februar wurde die 70. Berlinale mit einer Gala und dem Film "My Salinger Year" von Philippe Falardeau eröffnet. Das Festival stand erstmals unter der Leitung von Carlo Chatrian als Künstlerischem Direktor und Mariette Rissenbeek als Geschäftsführerin. Sie hatten als neue Sektion die Reihe "Encounters" eingeführt und für die früheren Wettbewerbsbeiträge "außer Konkurrenz" die Sektion "Berlinale Specials & Berlinale Series" geschaffen. Zum 70. Festivaljubiläum fanden zudem Sonderveranstaltungen statt, darunter ein Sonderprogramm "On Transmission" mit früheren Berlinale-Teilnehmern, die mit einem selbstgewählten Gast in Dialog treten. Die Retrospektive war dem amerikanischen Regisseur, Produzenten und Drehbuchautor King Vidor gewidmet.

Link: Homepage des Festivals

Auszeichnungen

There Is No Evil
Doch das Böse gibt es nicht
2020

Der Episodenfilm reflektiert die Wichtigkeit des Gewissens in den Geschichten von vier jungen Männern, die die Todesstrafe vollstrecken sollen, und ihres Umfelds. Sie werden während ihres Militärdiensts mit diesem Auftrag betraut; einer von ihnen flieht, ein anderer widersetzt sich. Die Verstrickungen und tiefen moralischen Konflikte, die diese Tötungen mit sich bringen, konfrontieren das Publikum mit der verstörenden Wirklichkeit des politischen und juristischen Systems im Iran. Die Taten der Männer haben weitreichende Auswirkungen auf ihre Beziehungen zu ihren Liebsten und ihren Familien. Die Atmosphäre drohender politischer Verfolgung ist tief beunruhigend. In höchst eindrucksvoller Weise stellt der Film unterschiedliche Optionen dar und unterstreicht so die Möglichkeit einer Gewissensentscheidung auch unter politischem Druck. Herausragend erzählt, von großer filmischer Qualität und mit überzeugenden darstellerischen Leistungen zeigt der Film eine grundsätzliche Kritik der Todesstrafe im Allgemeinen und des repressiven iranischen Systems im Besonderen (Foto: © Cosmopol Film).

Father
2020

Das Roadmovie erzählt die auf einer wahren Begebenheit basierende Geschichte eines Vaters, der einen 300 km weiten Weg von der Provinz in die Hauptstadt Serbiens zu Fuß zurücklegt, um seinem verzweifelten Wunsch Ausdruck zu verleihen, seine Kinder wieder zugesprochen zu bekommen. Aufgrund der prekären Familiensituation und einer verzweifelten Kurzschlusshandlung seiner Frau wurde ihm das Sorgerecht für die Kinder durchs örtliche Jugendamt kurzfristig entzogen.

Der Film zeigt das noch in sozialistischer Willkür verhaftete kommunale System, korrupte Strukturen, ein krasses Stadt-Land-Gefälle und die schwer zu ertragende Verwahrlosung eines ganzen Landes. Dennoch gelingt es dem Vater, in zurückhaltender und gewaltfreier Weise mit der katastrophalen Anspannung, seinen Schuldgefühlen und den Herausforderungen auf dem Weg nach Belgrad umzugehen. Die Jury sieht in ihm eine vorbildliche Haltung der Beharrlichkeit und eines Gerechtigkeitsstrebens, welches trotz der prekären Situation nicht auf Kosten anderer geht. So wird der Vater zu einem Helden, ohne sich selbst je als Held zu sehen (Foto: © Maja Medic/Film House Baš Čelik).

2020

Ihr bevorstehender Hochzeitstag wird Munas Leben für immer verändern. Es ist der Tag, an dem sie ihre Entscheidung in die Tat umsetzt; nicht jedoch jene für den für sie ausgesuchten Bräutigam, sondern diejenige, ihre Freiheit außerhalb Saudi-Arabiens zu suchen. Als Frau, die sich mutig kommenden Gefahren und Herausforderungen stellt, hat Muna ihre Flucht aus Saudi Arabien geplant. Gerade weil sie ein Mensch ist, dessen Herz von Zuneigung und Liebe für ihre Familie geprägt ist, muss sie aufbrechen. Diese Geschichte über weibliche Selbstbestimmung ist real, sie ist authentisch und berührt, indem sie vollständig aus Smartphone-Videos zusammengesetzt ist. Susanne Regina Meures als Regisseurin und Muna als Protagonistin und Person lassen miteinander mehr als einen Film entstehen. Sie fügen den Smartphone-Bildern eine Version des Feminismus hinzu und profilieren die Würde der Frauen nicht trennend, sondern als Brücke. Und gemeinsam haben sie Deutschland eine junge Frau hinzugefügt, die glücklich über die Sonne der Freiheit in ihrem Inneren ist – und deshalb noch immer über den Regen außerhalb (Foto: © Christian Frei Filmproductions).

Zero
2020

Mit dem subtilen, aber wirkungsvollem Einsatz filmischer Mittel, vor allem von Kamera und Montage, vermittelt der Film die Wirkung, die der Psychiater Dr. Masatomo Yamamoto auf seine Patient*innen hat. Kurz vor seinem Ruhestand zeigt er Einfühlsamkeit und Verständnis im Umgang mit ihren Belastungen und Ihrer Angst vor einer Zukunft ohne seine Begleitung. Er motiviert seine Patient*innen, die jetzt notwendigen Schritte zu unternehmen, und begleitet sie in einer stillen, aber ermutigenden Art. Im zweiten Teil des Films sieht man ihn nach seiner Pensionierung, wie er seine Zeit mit seiner demenzkranken Frau verbringt. Die scheinbare Einfachheit des Films beeindruckt zutiefst. Menschliche Würde und Mitgefühl werden in herausragender Weise ins Bild gesetzt. Ein bewegender Film über den Wert menschlicher Handlungsfähigkeit und Fürsorge in einer Gesellschaft, in der Menschen sozialem und wirtschaftlichem Erfolgsdruck ausgesetzt sind (Foto: © Laboratory X, Inc.).

Mehr zum Festival

Vor dem Hintergrund des Internationalen Frauentags (8. März 2020) beschäftigt sich Melanie Pollmeier, Mitglied der Ökumenischen Jury der diesjährigen Berlinale, eingehend mit dem Film "Never Rarely Sometimes Always" von Eliza Hittman, der den Silbernen Bären der internationalen Jury erhalten hat.
Das 70jährige Jubiläum der Berlinale fiel in das Jahr 1 der Post-Dieter-Kosslick-Ära. 18 Jahre hatte Kosslick die Berlinale geleitet (...) Dieses Jahr agierten Carlo Chatrian, der neue künstlerische Leiter und die Geschäftsführerin Mariette Rissenbeek als neues Führungs-Duo.