Die Preisverleihung
Jim Jarmusch mit dem Goldenen Löwen (© Andrea Avezzù, La Biennale di Venezia - Foto ASAC)


„Oh Shit“, waren die ersten Worte von Jim Jarmusch, als er auf die Bühne kam, um den Goldenen Löwen in Empfang zu nehmen. Eine ähnliche Reaktion konnte man bei fast allen Kritikern erleben angesichts der völlig unerwarteten Auszeichnung für seinen Film „Father Mother Sister Brother“, der nicht zu den Höhepunkten des Wettbewerbs gehörte. Er besteht aus drei Teilen, die, mit wechselnden Besetzungen, um das Thema Familie kreisen. Kein Vergleich mit Jarmuschs originellem Episodenfilm „Night on Earth“ (1991). Aber das ist lange her. Seine letzten Filme waren wenig überzeugend, so die Liebesgeschichte „Paterson“ (2016), darauf angelegt, den Zuschauern den großen amerikanischen Dichter William Carlos Williams nahezubringen, oder die Zombie-Komödie „The Dead Don’t Die“ (2019).

Sein neuer Film „Father Mother Sister Brother" war nur deshalb in Venedig gelandet, weil Cannes den Film nicht im Wettbewerb sondern in der Nebenreihe „Cannes Premiere“ zeigen wollte, worauf Jarmusch ihn zurückzog. Dieser Goldene Löwe machte eher den Eindruck einer Ehrung für sein Lebenswerk, die ihm sein amerikanischer Regie Kollege und Bewunderer, der Jury-Vorsitzende Alexander Payne, zukommen lassen wollte. Jarmusch ist mittlerweile 72 Jahre alt, noch nie hat er einen Hauptpreis auf einem der drei großen Festivals Cannes, Berlin oder Venedig gewonnen.

Der wirklich überragende Film dieser 82. Mostra, darin waren sich viele einig, war „The Voice of Hind Rajab“ über die Ermordung des gleichnamigen palästinensischen Mädchens im Februar 2024 in Gaza Stadt. Ihre Hilferufe an die Einsatzzentrale des Roten Halbmonds in Ramallah hat die tunesische Regisseurin Kaouther Ben Hania in einer bewegenden Dokufiktion rekonstruiert. Den Film nur mit dem Großen Preis der Jury auszuzeichnen, ist alles andere als eine mutige Entscheidung. Alexander Payne hatte schon in der Eröffnungspressekonferenz der Jury keine überzeugende Figur abgegeben, als er auf die Frage nach Solidarität mit Gaza antwortete, darauf sei er „nicht vorbereitet“.

Etwas überraschend, aber nicht unverdient ging der Preis für die beste Regie an den New Yorker Benny Safdie für sein Martial Arts-Drama „The Smashing Machine“. Toni Servillo, der in Sorrentinos „La Grazia“ als integrer italienischer Präsident überzeugt, wurde zu Recht als bester Darsteller ausgezeichnet. Das gilt auch für die Chinesin Xin Zhilei, die für ihre großartige Performance in „The Sun Rises on All of Us“ den Preis als beste Schauspielerin erhielt.

Die 82. Mostra d’Arte Cinematografica von Venedig war ein spannendes Festival mit vielen großartigen Filmen. Mehr als in früheren Jahren standen politische Themen im Mittelpunkt, vor allem der Vernichtungskrieg in Gaza, verdichtet im herausragenden Wettbewerbsbeitrag „The Voice of Hind Rajab“. Darüber hinaus gab es am ersten Festivalwochenende eine große Solidaritätsdemonstration für-Palästina sowie einen offenen Brief italienischer Regisseure, die das Festival zu einer eindeutigen Stellungnahme aufriefen. Auch Stars gab es en masse, von George Clooney bis Julia Roberts und Cate Blanchett. Einziger Wermutstropfen war der Goldene Löwe für Jim Jarmusch. Ein Preis für sein Lebenswerk wäre angemessener gewesen.

Information

Erstellt

Festivals