Zur Halbzeit des Festivals ist der brasilianische Beitrag „O agente secreto“ (The Secret Agent) einer der Favoriten des Wettbewerbs. Vor sechs Jahren begeisterte Kleber Mendonça Filho in Cannes mit seinem im brasilianischen Nordosten angesiedelten Spätwestern „Bacurau“ das Publikum. In der Zwischenzeit realisierte er die historische Dokumentation „Retratos Fantasmas“ (2023) über seine Heimatstadt Recife. Die Hauptstadt des Bundesstaats Pernambuco ist auch der Schauplatz von „O agente secreto“. Die Hauptfigur, gespielt von Wagner Moura, ist alles andere als ein Geheimagent, vielmehr ein linker Ingenieur auf der Flucht, dessen akademisches Institut geschlossen wurde. Eigentlich heißt er Armando, jetzt nennt er sich Marcelo und ist auf dem Weg nach Recife, wo sein Sohn bei seinen Schwiegereltern aufwächst. Die Mutter, Armandos Frau, ist unter unklaren Umständen ums Leben gekommen.

Wir sind im Jahr 1977, in den Zeiten der Militärdiktatur. Gleichzeitig werden in São Paulo zwei Killer auf ihn angesetzt, die ihn in Recife aufspüren werden. ‚Marcelo‘ hat inzwischen einen Job im Meldeamt der Stadt gefunden, wo er nach Unterlagen über seine Mutter sucht. Was auf den ersten Blick kompliziert klingt, ist ein spannend erzähltes Geflecht von Handlungssträngen, die sich organisch zusammenfügen. Trotz des ernsten Themas gibt es immer wieder Momente von überraschendem Humor, wenn Recife im Chaos des Karnevals schwelgt und die Killer aus São Paulo als ‚Touristen aus dem Süden‘ bezeichnet werden.

Wagner Moura, der mit dem Berlinale Sieger „Tropa de Elite“ (2007) und der Netflix-Serie „Narcos“ international bekannt wurde, spielt virtuos drei Rollen, einmal mit langen Haaren und Bart, dann mit kurzen Haaren und Schnurrbart und schließlich mit ganz kurzem Haarschnitt. 

Regisseur Kleber Mendonça Filho, der auch das Drehbuch schrieb, knüpft mit seinem Cinemascope-Format und einer satten Farbpalette an Look von Filmen der 70er Jahre an. Die Regierungszeit von Jair Bolsonaro, der von den Jahren der Militärdiktatur schwärmte, hat auch den Blick auf diese Epoche der brasilianischen Geschichte gelenkt, zuletzt mit Walter Salles‘ Oscar Gewinner „Ainda estou aqui“ (Für immer hier).

Ähnlich politisch angelegt ist die schwedische Produktion „Eagles of the Republic“ (Adler der Republik) von Tarik Saleh. Der schwedisch-ägyptische Regisseur, der in Stockholm geboren wurde, war 2015 unter politischem Druck gezwungen, Ägypten zu verlassen. Sein Film ist der dritte Teil der “Kairo-Trilogie“, nach „Die Nile Hilton Affäre“ (2017) und „Die Kairo Verschwörung“, der vor zwei Jahren im Wettbewerb von Cannes zu sehen war. Der schwedisch-libanesische Schauspieler Fares Fares spielt einen fiktiven Star des ägyptischen Kinos, George Fahmy, der von seinen Fans als ‚Pharao auf der Leinwand‘ verehrt wird. Mr. George fährt einen Jaguar und hat eine luxuriöse Wohnung. Er ist nicht mehr der Jüngste, aber seine Filme sind immer noch Kassenschlager. Außerdem hat er eine junge Freundin, die allgemein für seine Tochter gehalten wird, weshalb er sich mit Viagra versorgen muss.

Für das Regime von General Al Sisi hat er wenig Sympathien. Doch eines Tages macht man ihm ein Angebot, das er nicht ablehnen kann. Er soll in einem Biopic den General auf seinem Weg an die Macht spielen, andernfalls könnte seinem Sohn etwas zustoßen. Widerwillig erklärt er sich bereit, die Rolle zu übernehmen. Als man ihn in der Maske mit Halbglatze und Doppelkinn dem Präsidenten angleicht, ist die Produktion entsetzt. Nein, auf der Leinwand soll der General so groß und gutaussehend sein wie George Fahmy. Doch das ist erst der Anfang. Bei den Dreharbeiten ist ein Berater des Präsidenten anwesend, der bei jeder Szene das letzte Wort hat.

Eines Abends wird Mr. George zu einem Abendessen beim Verteidigungsminister eingeladen und lernt eine Gruppe von hohen Regierungsvertretern kennen, die sich als die „Adler der Republik“ bezeichnen. Als man ihn bedrängt, bei einer Vereidigung junger Kadetten eine Lobrede auf den Präsidenten zu halten, ahnt er nicht, worauf er sich einlässt.

Zu Anfang macht sich Regisseur Tarik Saleh vor allem über die Eitelkeit der ägyptischen Filmindustrie lustig. Doch dann wird der Film zunehmend politischer und enthüllt die Funktionsweise eines diktatorischen Regimes, das sich mit pseudo-demokratischen Wahlen legitimiert. Die Diktatur General Al Sisis unterscheidet sich in nichts mehr von der seines Vorgängers Mubarak. Den demokratisch gewählten Präsidenten und Vertreter der islamischen Bruderschaft, Al Mursi, hat er erfolgreich weggeputscht. Wer sich kritisch über das Regime äußert, läuft Gefahr, spurlos in einem Foltergefängnis zu verschwinden. Wie George Fahmys Filmpartnerin Rula (Cherien Dabis), die plötzlich auf einer Schwarzen Liste landet und ‚vom Balkon stürzt‘. Wer bisher annahm, Ägypten sei verglichen mit Saudi-Arabien ein vergleichsweises liberales Land, wird durch die „Adler der Republik“ eines Besseren belehrt.

Information

Erstellt

Festivals