Familiengeschichten mit politischen Untertönen

Das internationale Filmfestival Karlovy Vary 2019. Von Peter-Paul Huth
Let There Be Light (Marko Škop)

Lobende Erwähnung der Ökumenischen Jury: LET THERE BE LIGHT von Marko Škop (© Film Servis Festival Karlovy Vary)|


Als Kurort war Karlsbad jahrhundertelang ein Anziehungspunkt für europäische Geistesgrößen. Goethe und Schiller, Dostojewski und Kafka, Karl Marx und Sigmund Freud, Beethoven und Dvorak, sie alle besuchten die berühmten böhmischen Heilquellen auf der Suche nach Erholung und Genesung.

Während des Filmfestivals von Karlovy Vary, wie die Stadt auf Tschechisch heißt, erwacht der alten Badeort für 9 Tage aus seinem Dornröschenschlaf. Das Festival ist einerseits das größte Kulturereignis in Tschechien, andererseits ein idealer Ort, um Filme aus Ost- und Mitteleuropa zu sehen. Kein Wunder, dass der „Guardian“ Karlovy Vary kürzlich als eines der interessantesten Film-Festivals in Europa bezeichnete. Eine Einschätzung, die sich auch in diesem Jahr bestätigte.

Viele Filme im Wettbewerb konzentrierten sich auf intime Familiengeschichten, wobei auch aktuelle Themen anklingen, die uns heute in Europa beschäftigen. Exemplarisch in dem beeindruckenden slowakischen Beitrag „Let There Be Light“ (Nech je svetlo) von Marko Škop.


Milan, der in Deutschland arbeitet, besucht Weihnachten seine Familie in der Slowakei und stellt fest, dass sein Sohn sich in einer paramilitärischen Gruppe engagiert. Die Abwesenheit des Vaters machen den Sohn und seine kleinen Bruder anfällig für nationalistische Parolen und Demonstrationen männlicher Stärke. Der Film reflektiert das Dilemma der Arbeitsemigration und die daraus resultierenden Konflikte in der Familie. Zugleich den wachsenden Einfluss semi-faschistischer Jugendorganisationen mit guten Verbindungen zur Polizei und zum lokalen katholischen Klerus. Der Film verwendet Elemente eines Thrillers und konfrontiert die Zuschauer existenziellen moralischen Fragen. Unter den exzellenten Schauspielern ragt in der Rolle des Vaters Milan Ondrik heraus, der mit dem Preis als bester männlicher Darsteller ausgezeichnet wurde. Mit seinem zweiten Spielfilm zeigt sich Regisseur Marko Škop, der auch das Drehbuch geschrieben hat, als großes Talent des europäischen Kinos.


Auch Jan-Ole Gerster hat in Karlovy Vary seinen mit Spannung erwarteten zweiten Spielfilm „Lara“ präsentiert. Vor sieben Jahren wurde er auf dem Festival für sein Debüt „Oh Boy“ gefeiert. „Lara“ hat eine ganz andere Tonlage. Der Film erzählt vom Leben einer 60jährigen Frau, dramaturgisch komprimiert auf einen Tag, und zwar an ihrem Geburtstag. „Es geht um das Leben einer komplizierten Frau, und das ist nicht negativ gemeint“, sagt Regisseur Jan-Ole Gerster. Corinna Harfouch ist brillant in der Rolle dieser Frau, die nach außen hart auftritt, um ihre Verletzlichkeit zu kaschieren und ihren Sohn (Tom Schilling) zu beschützen, der an diesem Tag ein großes Konzert als Pianist gibt. „Lara“ war der große Gewinner in Karlovy Vary und wurde gleich mehrfach ausgezeichnet. Mit dem Darstellerpreis für Corinna Harfouch sowie mit dem Großen Preis der Jury für Jan-Ole Gerster. Auch die Ökumenische Jury zeichnete „Lara“ als besten Film aus. Ein seltener Erfolg für einen deutschen Film auf einem großen internationalen Festival.

Der Crystal Globe für den besten Film ging überraschend an den bulgarischen Beitrag "The Father" (Bashtata) von Petar Valcanov und Kristina Grozeva, der nicht zu den Favoriten der Kritiker gehörte. Ein älterer Mann lässt nichts in versucht, um mit seiner toten Frau in Kontakt zu treten. Sehr zum Ärger seines Sohnes, der die spiritistischen Aktionen seines Vaters für Humbug hält. Auf komisch absurde Weise führen die Filmemacher vor, wie deren Kommunikation immer wieder scheitert.

Der Preis für die beste Regie ging an den Belgier Tim Mielants für „De Patrick“. Ein origineller Film mit einem außergewöhnlichen Setting, einem Nudisten-Camp. Kevin Janssens ist großartig in der Titelrolle, als junger Mann mit autistischen Zügen, den der Verlust seines Hammers mehr aus dem Gleichgewicht bringt als der Tod seines Vaters.


Vor drei Jahren gewann der Slowene Damjan Kozole auf dem Festival den Regiepreis. Diesmal ging er leer aus, aber sein Familiendrama „Half-Sister“(Polsestra) beeindruckte im Wettbewerb. Es geht um zwei Halbschwestern, die unfreiwillig eine Wohnung teilen und nur mit großer Mühe eine Verständigung finden. Das erzwungene Zusammenleben ist auch eine Allegorie auf die polarisierte Situation in einem kleinen Land wie Slowenien, wo mit großer Heftigkeit immer noch über den 2.Weltkrieg und die Nachkriegszeit gestritten wird. „Wir stecken fest in der Vergangenheit“, sagt Damjan Kozole. „Die slowenische Gesellschaft tritt auf der Stelle. Unsere einzige Hoffnung ist Europa.“

In vielen Filmen auf dem Festival spürt man eine Beunruhigung angesichts der Zustände in Europa. Intoleranz, Xenophobie und eine Abschottung nach außen, verbunden mit einer Anfälligkeit für populistische und rechte Parolen, das war ein Unterstrom von Sorge angesichts aktueller Entwicklungen. Karlovy Vary zeigte sich auch in diesem Jahr wieder als ein Ort, wo sich Ost und West begegnen. Getragen von einem jungen und enthusiastischen Publikum entfaltet sich eine Atmosphäre von Offenheit und Neugier, wie man sie nicht überall auf einem internationalen Filmfestival erlebt.