Cannes 2023/9

Beobachtungen von Waltraud Verlaguet zu den letzten Wettbewerbsfilmen des Festivals


Am letzten Tag vor Abschluss (die Preise der Semaine de la critique, Tiger Stripes von Amanda Nell Eu, und Un Certain Regard, How To Have Sex von Molly Manning Walker, sind schon verliehen), lieferte Wim Wenders mit Perfect Days (Internationaler Wettbewerb) einen sehr poetischen Film über sein geliebtes Japan. Ein minimalistisches Szenario lässt uns am genau geregelten Leben eines Toilettenreinigers in Tokyo teilnehmen, der sich an allem erfreut. Nach Zähneputzen und liebevollem Besprühen seiner Pflanzen geht er aus dem Haus und atmet genüsslich ein, ob nun die Sonne scheint oder ob es regnet. Er genießt die abendliche Lektüre von gebraucht gekauften Büchern und hört gerne uralte Kassetten mit Musik der 1960ger -70ger. Jeden Tag nimmt er in seiner Mittagspause ein Foto auf, meist von den Baumwipfeln des Parks, in dem er isst. Es sind jedes Mal eine Art visuelle Haikus, und der ganze Film läuft darauf hinaus, in jeder täglichen Geste die Schönheit und das Glück des Augenblicks zu zelebrieren. Man genießt mit ihm.


Cobweb von Kim Jee-woon (OT: Geo-mi-jip; Out of Competition) ist das Gegenstück dazu: ein lustvoll kompliziertes Drehbuch, das das Drehen eines Films in vielen Facetten, die sich gegenseitig spiegeln, auf die Schippe nimmt.


La Chimera von Alice Rohrwacher (Internationaler Wettbewerb) ist ein kompliziertes Konstrukt, in das man nur schwer eintaucht. Arthur, ein Engländer ist das Oberhaupt einer Clique kleiner Plünderer etruskischer Gräber, manipuliert von internationalen Kunsthändlern (die schicke Händlerin wird von Alices Schwester Alba gespielt). Arthur geht es dabei nicht um Geld, er sucht vielmehr nach einer Tür zur Unterwelt, wie Orpheus auf der Suche nach seiner verstorbenen Geliebten. Zweimal kommt dabei der Satz vor, dass das, was niemandem gehört, allen gehört. Man muss es sich nur aneignen, wie eine der Figuren des Films sich einen außer Betrieb gesetzten Bahnhof aneignet. Kann man sich die Vergangenheit aneignen?


The Old Oak schließlich von Ken Loach (Internationaler Wettbewerb) ist ein bisschen enttäuschend. Seine dann doch etwas naive Weltsicht, in der die Guten die Bösen am Ende durch ihre Güte ausbooten, mag als optimistische Utopie gelten, wird aber der komplexen Realität nicht gerecht. Wie schön waren dagegen seine Komödien, Looking for Eric und Angels Share.