Cannes 2023: Feelgood Movies

Künstliches und Kulinarisches aus dem Wettbewerbsprogramm

Amerikanisch

Kein anderer Regisseur brachte so viele Stars auf den Roten Teppich wie der Amerikaner Wes Anderson. Tom Hanks, Scarlett Johanssson, Adrien Brody, Jeffrey Wright, Tilda Swinton, Liev Schreiber, Bryan Cranston, Steve Carell und Edward Norton. „Casting: 5 Étoiles“ (5 Sterne) titelte Nice Matin zu „Asteroid City“, dem neuen Film von Wes Anderson. Wenn der Kultregisseur ruft, kommen alle. Dieses All-Star-Ensemble wird angeführt von Jason Schwartzman, der nach dem Tod seiner Frau mit vier Kindern auf dem Weg zu seinem Schwiegervater ist (Tom Hanks). Als das Auto den Geist aufgibt, stecken sie in Asteroid City fest, Einwohnerzahl 87, einem verlorenen Nest in der Wüste von Nevada. Ein Ort, wo Atombomben getestet werden und jugendliche Erfinder um den Preis des „Spacegazer of the Year“ wetteifern. Wir sind im Jahr 1955.

Natürlich ist die Wüste ein Fake, nachgebaut im Studio in Chinchón bei Madrid. Wie bei Wes Anderson nicht anders zu erwarten, schwelgt die Ausstattung in skurrilen, akribisch arrangierten Details. Ein Phantasie-Amerika im optimistischen Atomzeitalter der 50er Jahre. Jason Schwartzman spielt einen Kriegsfotografen, Scarlett Johansson einen Hollywoodstar. Als Nachbarn im lokalen Motel kommen sie sich menschlich näher. Aber von einer Geschichte kann kaum die Rede sein, jeder Szene, jeder Dialog ist ironisch gebrochen.

Um die Künstlichkeit auf die Spitze zu treiben, wird „Asteroid City“ als ein Theaterstück präsentiert, das live und Schwarz-Weiß im Fernsehen ausgestrahlt wird. Bryan Cranston als Moderator stellt Edward Norton als Autor vor, dessen Stück von Adrien Brody inszeniert wird, der aussieht wie eine Kombination aus dem Regisseur Elia Kazan und der Theaterfigur Stanley Kowalski. Akte und Szenen werden angezeigt, dann springt die Handlung wieder in die bonbonbunte Wüste von Nevada zurück. Kein Wunder, dass man bei derartig vielen Handlungssträngen leicht den Überblick verliert. „Asteroid City“ ist ein Film, den man zweimal sehen muss, um alle Details und Gags mitzubekommen. Angesichts dieser Überdosis an Ausstattung laufen die Figuren Gefahr unterzugehen.

Französisch

Neben vielen bekannten Namen gab es auch Regisseure, die zum ersten Mal im Wettbewerb vertreten waren, wie den Franzosen mit vietnamesischen Wurzeln Trần Anh Hùng, dessen Hommage an die französische Küche in Cannes auf große Begeisterung stieß. Der Originaltitel „La passion de Dodin Bouffant“ klingt ziemlich kompliziert, währen der internationale Titel „The Pot au Feu“ sofort andeutet, worum es geht. Der vermögende Gourmet Dodin Bouffant (Benoît Magimel) lebt seit 20 Jahren mit seiner Köchin (Juliette Binoche) unter einem Dach. Aus der gemeinsamen Passion für die gute Küche wird im Laufe der Zeit eine amouröse Anziehung. Oder wie Benoît Magimel es galant formuliert: „Darf ich heute Nacht an Ihre Türe klopfen?“ Worauf Juliette Binoche lakonisch erwidert. “Bien sûr, aber ich weiß nicht, ob sie offen ist.“ Wir befinden uns im Jahr 1885 und man weiß die Form zu wahren.

Dodin versammelt einen kleinen Kreis von Gourmet Freunden an seinen Tisch, man isst erlesene Gerichte, garniert mit geistreichen Dialogen über den Gründervater der französischen Küche Antonin Carême. „Könige kommen und gehen, aber Carême bleibt der Roi des cusiniers“ (der König der Köche).

Faszinierend ist die Art und Weise wie Regisseur Trần Anh Hùng die Zubereitung von Gemüse, Fleisch und Fisch sowie den Prozess des Kochens inszeniert. Die Szenen fließen organisch ineinander wie sich die Zutaten zu einem außergewöhnlichen Menü zusammenfügen. Die Gastronomie als eine höhere Stufe der Zivilisation, die entsprechend gewürdigt und zelebriert wird. Norbert Elias hätte seine Freude an diesem Film gehabt.

Benoît Magimel, der in „Die Klavierspielerin“ von Michael Haneke zusammen mit Isabelle Huppert 2001 den Darstellerpreis in Cannes gewann, zeigt sich nach persönlichen Krisen als Dodin in glänzender Form. Beeindruckend durch seine physische Präsenz wie auch durch seinen Esprit. Kein Wunder, dass man ihn den „Napoleon der Küche“ nennt.

Juliette Binoche ist großartig als leidenschaftliche Köchin, die kein Aufhebens um ihre Kunst macht und sich als Handwerkerin in der Küche versteht. Hartnäckig wehrt sie Dodins Avancen ab, denen sie erst „im Herbst ihres Lebens“ nachgibt. Ein Film nicht nur für Gourmets, der Lust auf das Kochen und Essen macht. Das absolute Gegenstück zu Jessica Hausners asketischem „Club Zero“.