Cannes 2023: Fazit

Cannes 2023: Die Palmen-Gewinner

Die Gewinner in Cannes 2023, in der Mitte Justine Triet mit der Goldenen Palme (© Maxence Parey / FDC)


Cannes is back, so lautete das inoffizielle Motto dieses Jahres. Mit mehr als 14.000 Teilnehmern übertraf der Filmmarkt die Rekordzahlen aus den Zeiten vor der Corona-Pandemie und widerlegte die pessimistischen Prognosen vom Ende des Kinos angesichts der wachsenden Popularität der Streaming-Anbieter. Anders als Berlin und Venedig besteht Cannes nach wie vor auf einer Kinoauswertung und verweigert bis heute Produktionen von Netflix oder Amazon Studios einen Platz in der „Sélection officielle“.

Auch künstlerisch bewegte sich der Wettbewerb im 77. Jahr des Festivals auf hohem Niveau. Dem künstlerischen Leiter Thierry Frémaux und seinem Team gelang eine spannende Mischung aus etablierten Regisseuren wie Wim Wenders, Kore-eda Hirokazu, Marco Bellocchio, Nanni Moretti, Todd Haynes, Aki Kaurismäki, Nuri Bilge Ceylan und Ken Loach mit jungen Talenten wie Justine Triet, Ramata-Toulaye Sy aus Frankreich, Jessica Hausner aus Österreich und Kaouther Ben Hania aus Tunesien.

Mindestens ein halbes Dutzend Filme wären für die Goldene Palme in Frage gekommen. Dass der Preis schließlich an die 44jährige Justine Triet für „Anatomie d’une chute“ (Anatomie eines Sturzes) ging, war eine überzeugende Entscheidung. Die französischen Kritiker hatten den Film gleich nach der Premiere zu ihrem Favoriten erklärt. „Anatomie eines Sturzes“ verbindet auf gelungene Weise eine cineastisch ambitionierte Erzählung mit einer spannenden Darstellungsform. Intelligent unterläuft Justine Triet das amerikanische Genre des Gerichtsdramas und öffnet den Horizont für eine komplexe Beziehungsgeschichte. Außerdem gewann der Border Collie „Messi“, der im Film eine wichtige Rolle spielt, die sogenannte ‚Palm Dog‘.


Eigentlich hatte man erwartet, dass Sandra Hüller für ihre nuancierte Darstellung der Protagonistin Sandra ausgezeichnet würde, doch der Preis für die beste Darstellerin ging überraschend, aber durchaus verdient, an die 36-jährige Türkin Merve Dizdar für ihre Rolle der Lehrerin Nuray in Nuri Bilge Ceylans „About Dry Grasses“ (Über trockene Gräser). Falls, wie zu befürchten ist, Erdogan die Präsidentschaftswahl in der Türkei gewinnt, liefert der Film ein Stimmungsbild derjenigen, die vergeblich auf eine politische Veränderung gehofft hatten.

Auch der männliche Protagonist, Deniz Celiloglu, wäre für den Darstellerpreis in Frage gekommen. Doch der ging wie zu erwarten an den Japaner Koji Yakusho für seine Hauptrolle in Wim Wenders „Perfect Days“, der außerdem mit dem Preis der Ökumenischen Jury ausgezeichnet wurde. Zum Glück ist man in Cannes, anders als in Berlin, nicht dazu übergegangen, aus Rücksichtnahme auf identitätspolitische Empfindlichkeiten nur einen Unisex Darstellerpreis zu vergeben.


Den zweiten Hauptpreis gewann Jonathan Glazers „“The Zone of Interest“ (Die Interessen Zone). Der Blick auf das Familienleben von Rudolf Höss, den KZ-Kommandanten von Auschwitz, wurde von vielen Kritikern gefeiert, während der Autor dieser Zeilen den Film als ausgesprochen prätentiös empfand.

Mit dem Preis für das beste Drehbuch wurde der Japaner Yuji Sakamoto, der an der Universität der Künste in Tokyo Film unterrichtet, für „Monster“ von Kore-eda ausgezeichnet, Der Preis für die beste Regie ging für „La passion de Dodin Bouffant“ (The Pot-au-feu) an den in Vietnam geborenen Franzosen Trân Anh Hùng, um den es in den letzten Jahren etwas still geworden war, nachdem er 1995 mit „Cyclo“ den Goldenen Löwen in Venedig gewonnen hatte.

Zwei Preise, an denen nichts auszusetzen ist. Anders als beim Jurypreis für Aki Kaurismäkis „Fallen Leaves“ (Gefallene Blätter). Das Kino-Märchen um zwei einsame Herzen in Helsinki führte zusammen mit Todd Haynes‘ „May December“ bis zuletzt das Ranking der Kritiker an. Kaurismäkis seit 30 Jahren bewährte Mischung aus trocken inszenierter Sentimentalität und finnischem Humor ist und bleibt ein Selbstläufer in Arthouse-Kreisen.