57. Internationales Filmfestival Karlovy Vary

30.06.2023 bis 08.07.2023
Karlovy Vary


Stefan Komandarevs Film "Blaga's Lessons" ist der große Gewinner in Karlovy Vary 2023. Er gewann den Crystal Globe und den Preis der Ökumenischen Jury, seine Hauptdarstellerin Eli Skorcheva wurde als Beste Schauspielerin geehrt. Tinatin Kajrishvilis "Citizen Saint" von Tinatin Kajrishvili erhielt eine Lobende Erwähnung der Ökumenischen Jury. Ein weiterer Gewinner ist "The Hypnosis" (Schweden, Norwegen, Frankreich 2023) von Ernst De Geer, der mit dem Preis der Fipresci-Jury, dem Preis der Europäischen Kinos (Europe Cinema Label Award) und dem Preis für den Besten Schauspieler (Herbert Nordrum) ausgezeichnet wurde.


Mit dem Historiendrama "Firebrand" von Karim Aïnouz wurde das 57. Internationale Filmfestival Karlovy Vary am 30. Juni eröffnet. Das Festival zeigte den beim Festival in Cannes 2023 uraufgeführten Film als Hommage an die Schauspielerin Alicia Vikander, die mit dem Preis des Festivalpräsidenten ausgezeichnet wurde. Auch Ewan McGregor, Robin Wright und Daniela Kolářová werden mit diesem Sonderpreis geehrt. Zur Eröffnung wurde außerdem Russell Crowe mit einem Crystal Globe für sein Lebenswerk ausgezeichnet.

Die seit 1994 das Festival begleitende Ökumenische Jury verlieh ihren Preis an einen der 11 Filme des Internationalen Wettbewerbs. Als zweite Wettbewerbssektion wurde 2022 der Proxima-Wettbewerb für filmische Entdeckungen eingerichtet, der Newcomern und innovativen Werken etablierter Regisseure gewidmet ist; er trat an die Stelle des vormaligen Wettbewerbs "East of the West". Die umfangreiche Sektion "Horizonte" zeigt herausragende Filme der jüngsten Vergangenheit. In der Retrospektive "Out of the Past" werden unter anderem mehrere Arbeiten Jean-Luc Godards aufgeführt, der im September 2022 verstorben ist, vor allem einer seiner berühmtesten Filme, "Le mépris" (Die Verachtung) von 1963.


Link: Homepage des Festivals

Auszeichnungen

Blaga's Lessons
2023

Nicht genug damit, dass eine 70-jährige Witwe ihr Geld sprichwörtlich über den Balkon Betrügern in die Hände wirft, die sie telefonisch unter Druck gesetzt haben. Der Frau fehlt nun auch das dringend benötigte Geld, um das Grabmal für ihren jüngst verstorbenen Ehemann und sich selbst zu finanzieren. Sie, die ihr Leben lang hart gekämpft hat, lässt dieses Ziel nicht aus den Augen und wird dabei selbst zur Täterin: In krimineller Weise fügt sie anderen zu, was sie erlebt hat. Bis zur allerletzten Minute des Films glauben wir Zuschauer_innen, dass die Protagonistin einen kathartischen Moment erlebt und ihre Taten bereut. Doch Blaga bleibt ihren starken Überzeugungen treu und scheint keine andere Wahl zu haben als unmoralisch zu handeln. Im Schicksal jener Frau spiegelt sich die Not vor allem alter Menschen im postkommunistischen bzw. marktwirtschaftlich-kapitalistischen Bulgarien, die zwischen Überlebenskampf, Korruption und Ausbeutung oft nicht mehr wissen, auf wen sie sich verlassen können. Gesteigert wird dies durch eine religiös motivierte Angst um das Seelenheil ihres Mannes. Dieser Film überzeugt die Jury, weil er das Verhältnis von individueller Verantwortung und gesellschaftlichen Normen mit einer Eindringlichkeit erzählt, die es uns schwer macht, der herausragend von Eli Skorcheva verkörperten Protagonistin Sympathie entgegenzubringen, und uns dennoch dazu bringt zu fragen, ob wir genau wie sie handeln würden.

Citizen Saint
2023

Ein Dorf in einer kargen georgischen Bergbau-Region betet eine reichlich verwitterte Heiligenfigur an. Plötzlich scheint diese lebendig geworden zu sein. Wunder geschehen, Lahme gehen, verschollene Bergleute erscheinen ihren Angehörigen und jede_r bibelfeste Zuschauer_in glaubt, all das schon einmal gesehen oder gehört zu haben. Doch dieser Film ist nicht einfach eine Nacherzählung des Neuen Testaments. Vielmehr wirft er eine wesentliche und durchaus selbstkritisch gemeinte Frage christlicher Religion neu auf: Warum beten wir das Tote, Unbewegliche, Austauschbare an statt das Lebendige? Wollen wir leben oder überleben? Dafür und für seine außergewöhnliche visuelle, ästhetische und musikalische Gestaltung vergibt die Ökumenische Jury eine Lobende Erwähnung an „Citizen Saint“ von Tinatin Kajrishvili.

Mehr zum Festival

Peter Paul Huth berichtet über einen qualitativ überzeugenden Festivaljahrgang in der tschechischen Bäderstadt.
Hermann Kocher zieht in einem persönlichen Rückblick Bilanz über das Filmfestival in Karlovy Vary 2023 und notiert Beobachtungen zu den Filmen des internationaen Wettbewerbs.