Familiengeschichten

The Son (Florian Zeller)

The Son

The Son

Auffallend war in diesem Jahr in Venedig eine Fülle an Familiengeschichten, die von getrennten und wieder verheirateten Paaren, vom Verhältnis zwischen Eltern und Kindern, von tragischen Schicksalsschlägen, von Verlust und Trauer erzählen. Geschichten, die im intimen Rahmen gesellschaftliche Zusammenhänge sichtbar machen. Es sind Familienkonstellationen, mit denen die Zuschauer sich identifizieren können. Denn, wie Hugh Jackman in einer Szene mit Anthony Hopkins sagt, „Wir alle haben einen Vater“. Jackman spielt die Hauptrolle in „The Son“, dem neuen Film von Florian Zeller.

Mit seinem Kinodebüt „The Father“ katapultierte sich der französische Theaterautor vor zwei Jahren in den Olymp des internationalen Kinos. Zur allgemeinen Überraschung gewann Anthony Hopkins seinen zweiten Oscar, während Zeller zusammen mit Christopher Hampton für das beste adaptierte Drehbuch ausgezeichnet wurde.

Der zweite Film seiner geplanten Familientrilogie, der ebenfalls auf einem Theaterstück beruht, entfaltet eine enorme Wucht und wurde in Venedig mit Begeisterung aufgenommen. Florian Zeller hat den Schauplatz nach New York verlegt, „eine Stadt, die für alle Städte stehen kann. Aber der Ort ist nicht so wichtig, es geht um Verlust und Schmerz“, sagt der Autor und Regisseur.

Eines Tages erfährt Kate (Laura Dern), dass ihr 17jähriger Sohn Nicholas (Zen McGrath) schon seit Wochen die Schule schwänzt. Nicholas zieht zu seinem Vater Peter (Hugh Jackman), einem erfolgreichen Anwalt, der mit seiner neuen Frau Beth (Vanessa Kirby) und ihrem kleinen Sohn zusammenlebt. Bei seinem Vater scheint es ihm besser zu gehen, aber der Eindruck täuscht. Nicholas macht die Scheidung seiner Eltern für seine Probleme verantwortlich. Er leidet unter einer lähmenden Angst vor dem Leben, die ihm den Alltag unerträglich macht. Bis sein Zustand sich auf dramatische Weise verschlechtert.

„Als ich das Drehbuch las, war es wie ein Schlag in den Magen. Ich wollte unbedingt diese Figur spielen“ sagt Hugh Jackman, bekannt als Musical Star und Protagonist der X-Men Filme, der eine grandiose Performance als verzweifelter und verletzlicher Vater liefert. „Liebe ist nicht genug“, heißt es an einer Stelle, denn obwohl alle Nicholas lieben, können sie ihm nicht helfen. „The Son“ ist ein emotional aufwühlender Film, ein unbestreitbarer Höhepunkt dieses Festivals.

Love Life

Der japanische Beitrag „Love Life“ von Koji Fukada erzählt vom banalen Alltag und stillen Glück einer jungen Familie, das jäh zerstört wird, als der 6jährige Keita, Taekos Sohn aus erster Ehe, in der Badewanne ertrinkt. Bei der Beerdigung taucht Keitas gehörloser Vater Park auf und macht eine Szene. Vor Jahren hat er die Familie verlassen und zuletzt als Obdachloser gelebt. Taeko sieht, dass er Hilfe braucht und kümmert sich um ihn. Jiro, ihr Mann, reagiert irritiert und eifersüchtig. Als seine frühere Verlobte auftaucht, spitzt sich die Situation zu.


 

Regisseur Fukada, der auch das Drehbuch geschrieben hat, nennt Eric Rohmer und den legendären japanischen Regisseur Yasujiro Ozu als seine Vorbilder. In „Love Life“ überrascht er die Zuschauer mit unerwarteten Wendungen, die dem Film eine subtile Spannung geben. Der Film vermeidet melodramatische Klischees, beeindruckt durch empathisch gezeichnete Figuren und einen melancholischen Realismus. Ein Familiendrama der leisen Töne, das davon erzählt wie unterschiedlich ein Paar seinen Schmerz verarbeitet und wie das Leben nach einem schrecklichen Verlust weitergeht.

The Whale

Durch die Trauer um den Tod seines Lebensgefährten entwickelt der Lehrer Charlie (Brendan Fraser) eine krankhafte Essstörung. Durch seine fast 300 Kilo Körpergewicht, gefesselt an sein mausgraues Sofa, versteckt er sich seitdem vor der Welt. Seine Studenten unterrichtet er per Videocall, mit ausgeschalteter Kamera. Als ihm seine Pflegerin und einzige Freundin Liz (Hong Chau) eröffnet, dass er wegen seines schwachen Herzens nur noch wenige Tage zu leben habe, beschließt er, Kontakt zu seiner Tochter Ellie (Sadie Sink) aufzunehmen. Vor acht Jahren hatte Charlie sie und ihre Mutter für seinen neuen Lebensgefährten verlassen. 


„The Whale“ ist ein mitreißendes Drama, das den Kampf eines Vater um seine Tochter, mit seiner Schuld und seinem kranken Körper zeigt. Brendan Fraser, einst Teenie-Schwarm, dann gnadenlos aussortiert, bietet hier eine atemberaubende Leistung, die tief berührt. 

Daneben brilliert “Stranger Things”-Star Sadie Sink als rebellische Teenagerin, die mit sich und der damals erlebten Zurückweisung ihres Vaters kämpft. Auch wenn „The Whale“ zum unausweichlichen Ende an Melodramatik gewinnt, verzeiht man dem Film dies nur zu gerne. Die kammerspielartige Inszenierung ist bewegend und aufrichtig. Darren Aronofsky gelingt das eindringliches Psychogramm eines Außenseiters, das einen auch Tage danach nicht loslässt. Mit Sicherheit einer der beeindruckendsten Filme des Festivals.