The Return - Die Rückkehr

Ein Filmdebüt vom Format eines Kinoklassikers


Der russische Regisseur Andrej Zvjagincev erzählt in denkbar knappster und konzentriertester Form vom Kampf zwischen Autorität und Auflehnung, vom Konflikt zwischen einem Vater und seinen beiden Söhnen. Der mit zahlreichen Auszeichnungen geehrte Film, darunter zwei Goldene Löwen für das beste Debut und den besten Film in Venedig und der kirchliche John Templeton European Film of the Year Award 2003, kommt jetzt in die deutschen Kinos. "The Return – Die Rückkehr" ist auch FILM DES MONATS (April 2004) der Evangelischen Filmjury.

Mit der Axt steht der Vater über seinem in den Sand gestürzten älteren Sohn, wütend und außer sich, mit gezücktem Messer droht der jüngere, ihn umzubringen. Ein Kreis, ein unheilvoller Zirkel scheint sich zu schließen, an dessen Anfang das Bild von dem zur Opferung Isaaks bereiten Abraham in einer illustrierten Bibel steht. Zwischen den Seiten des auf dem Dachboden verstaubenden Bandes haben der vielleicht zwölfjährige Iwan und der schon von Pubertätsmalen gezeichnete Andrej ein Kindheitsfoto gesucht, den Beweis, dass der schlafende Fremde im Haus der zurückgekehrte Vater ist. Eine weiße Feder hat sich schwankend auf dem Kopfkissen des Schläfers niedergelassen. Sie ist direkt aus Andrej Tarkovskijs "Nostalghia", in dem ein abwesender Vater durch seine Gedichte vertreten wird, in Swjaginzews Film hinüber geschwebt. Schon diese wenigen Motive verraten etwas von der Dichte einer Erzählung, die sich klar und ohne Schnörkel vor unseren Augen entwickelt, von einem Sonntag bis zum Sonnabend, ganze kurze sieben Tage einer Woche.

Klarheit und Geheimnis sind für die Kunst dieses Films keine Gegensätze. Er beginnt mit einer Mutprobe unter Heranwachsenden, die Iwan, der Jüngste, nicht besteht. Alle springen sie vom Turmgerüst eines Küstendammes ins Wasser, alle bis auf ihn, der von Angst und Spott gelähmt, bebend vor Kälte und Scham hoch oben zurückbleibt. Die Mutter holt ihn zurück, tröstend, mit beruhigenden Worten hüllt ihre Umarmung ihn ein. Schon diese Szene des Prologs genügt, um auch sie unvergesslich zu machen. Die Kränkung bleibt. Sie nährt einen rebellischen Trotz, der sich bis zu Mord- und Todesbereitschaft steigert. Sie muss in Gesten der Selbstgewissheit und Selbstbehauptung immer wieder zum Vergessen gebracht werden.

Der Trotz stößt auf einen Mann, der für vaterlos aufgewachsene Söhne plötzlich Vater sein will. Seine Abwesenheit bleibt ein ungeklärtes Rätsel. Ob er Soldat in irgendeinem Krieg, ob er Strafgefangener war, ob er der Familie entfloh und die Freiheit eines anderen Lebens suchte, bleibt unseren Vermutungen überlassen. Der Film streut vieldeutige Hinweise aus. Er sei Pilot, hat die Mutter den Kindern erzählt und ihre Fantasien entzündet. Der abwesende, fremde und dann doch wieder gegenwärtige Vater ist ein blinder Fleck, für den auch wir eine Bestimmung suchen. Bilder müssen ihn füllen wie das Abendmahl, zu dem er die Familie versammelt und Wein und Fleisch verteilt. Bilder und ein traditionsverhaftetes, autoritäres Verhaltensrepertoire, das die Unbestimmtheit überspielt. Papa sollen die Söhne ihn nennen, lautet eine seiner Regeln, der Andrej williger als Iwan gehorcht. Sie ist ebenso selbstverständlich wie willkürlich, nicht anders als andere Regeln, die wir mal befolgen, mal bezweifeln.

Weil wir den Vater meist mit den Augen Iwans und Andrejs sehen, fallen uns vor allem sein barscher Ton, seine strengen Anweisungen und Bestrafungen auf. Ein Versprechen, ein Abenteuer, die gemeinsame Autofahrt zum Fischen an einem See bietet reichlich Gelegenheit, Rituale des Gehorsams und des Widerstands aufeinander prallen zu lassen, und sei es nur im Konflikt um die Banalität, eine Suppe auszulöffeln. Der Anlass steht in schärfstem Kontrast zur Dramatik der Szene. Der hungrige Iwan weigert sich, das bestellte Gericht anzurühren. Der Vater setzt ihm eine Frist. Die Kraftprobe bleibt in der Schwebe, ein reines Gleichnis. Immerhin lernt das Kind, wie man die Kellnerin höflich herbeiruft, so schäbig und zufällig das Lokal in der russischen Provinz auch sei. Und, mit dem zweiten Blick, erkennen wir, wie der dem Vater Trotz bietende Sohn eine Gabe der Natur missachtet. Vorschnelle Sympathien, die auf unserem Einverständnis mit dem Aufstand der Söhne beruhen, halten der Erzählung Swjaginzews nicht stand. Trotzdem folgen wir noch immer der Spur, die Iwan Turgenjews politisch-psychologischer Roman "Väter und Söhne" im 19. Jahrhundert vorgezeichnet hat, der Attraktion eines Bewusstseins, das die Überlieferung abgeschüttelt hat.


Auf einer Insel im Nirgendwo entlädt sich die aufgestaute Spannung. Ein archaischer Mythos, den Freuds Psychoanalyse aktualisiert hat, kehrt zurück – auch wenn es wie in den Filmen Hitchcocks nur wie ein Zufall aussieht. Wir haben uns, sagt Freud, diesen Zufall gewünscht. Und erkennen erst im Nachhinein den Verlust, den wir dabei erlitten haben. Der Regisseur selbst hat von einem "mythologischen Blick auf das menschliche Leben" gesprochen, der seinem Film zugrunde liege. In einer Montage schwarzweißer Fotografien, einem Epilog, der dem Ende folgt, deutet Andrej Zvjagincev eine glücklichere Variante seiner Erzählung an, einen Film ohne Fragen. Ganz diskret haben Abrahamsopfer, Abendmahl, der Anklang an ein von Andrea Mantegna gemaltes, schon in Pasolinis "Accatone" zitiertes Bild von Christus im Todesschlaf Motive der christlich-jüdischen Tradition und das Thema eines geschichtlich verstummten, abwesenden Vater-Gottes ins Gedächtnis gerufen. Fangen wir an, uns Fragen zu stellen. Im Geist dieses Anfangs hat eine Crew enthusiastischer Debutanten, vom Regisseur über Komponist, Schauspieler, Kameramann bis zum Produzenten ein lange nachwirkendes Werk geschaffen, in dem wir uns selbst begegnen.

Ein Film aus der Tradition des herausragenden, in Rußland markant von Andrej Tarkovskij verkörperten Autorenkinos, an das "The Return – Die Rückkehr" anknüpft. Die Reise eines Vaters und seiner beiden Söhne zu einer menschenleeren Insel entwickelt sich zu einem mythischen Drama. Es teilt die spirituelle Intensität, die wir mit Tarkovskij verbinden, und wird zu Recht als Wiederkehr der russischen Filmkunst im Kino der Welt gefeiert.