Impressionen von einer (Festival-)Zeit zwischen den Zeiten

Bericht vom 25. Internationalen Filmfestival "Schlingel" in Chemnitz. Von Eleonore Sladeck


Ich muss gestehen: Als Ur-Leipzigerin hatte ich eigentlich gar keine große Lust auf Chemitz. Die ebenso wie Leipzig marode, doch pulsierende Industriestadt mit Karl-Marx-Denkmal und, zu DDR-Zeiten, entsprechendem Namen gehörte seinerzeit nicht gerade zu den Urlaubsperlen. Nach ihrer Zurückbenennung 1990 bescherte die Wirkmacht der Treuhand ihr statt blühender (Industrie)Landschaft den völligen Niedergang. Die Pulsader war aufgeschnitten. Weder Maschinenbau noch Textilindustrie mit “Malimo”-Insignien, nur die abwesenden Exil-Chemnitzer und die vielen Abgehängten, Arbeitslosen erinnerten an das einstmalige “sächsische Manchester”.

Die Stadt verschwand  für mich und kam nur noch in den Negativ-Nachrichten vor. Doch dann plötzlich auch in einem Angebot seitens INTERFILM, beim nunmehr 25. “Schlingel” in der Ökumenischen Jury mittun zu dürfen. Die Neugier zumindest darauf war geweckt. Allein – die Maskenpflicht im (ersten offiziellen) Corona-Jahr fungierte wie eine unerwünschte Bremse. Die Brille würde beständig beschlagen, der empörte Blutdruck steigen – was sollte das denn werden? Zudem: ein Jurymitglied aus dem riskanten Frankreich musste kurzfristig absagen, und nur dank der beherzten Unerschrockenheit eines inländischen Neuen (aus noch keinem Risikogebiet) stand das Trio. Nun konnte ich schon gar nicht mehr mit Verweis auf mein Etikett als “ansteckungsverdächtige Risikogrüpplerin aus Altersgründen” kneifen. Das musste also etwas werden!


Und es wurde etwas, etwas unerwartet Schönes. In jeder Hinsicht. Noch bevor ich, grade dem Regionalzug entstiegen, mich mit Stadt geschweige denn Mit-Juroren vertraut machen konnte, lernte ich die unlimitierte Freundlichkeit und Herzlichkeit der Festival-Organisatoren kennen. Auch die Straßenbahn hätte mich, wie die beiden anderen Jurymitglieder, zum Hotel im Zentrum gebracht. Aber gleich so persönlich abgeholt zu werden, das hat mich schon gerührt. Gewiss, das war nur eine kleine Geste der Wertschätzung. Und doch rückblickend Sinnbild für eine Woche warmherziger Aufmerksamkeit, Zugewandtheit und Umsicht. In einer Stadt, die ich, wenn die Zeit zwischen Filmen und -gesprächen es zuließ, begeistert peu à peu für mich neu entdeckte: Seien es die liebevoll restaurierten Reste einer vor dem Zweiten Weltkrieg historisch respektablen Altstadt, das Jugendstil-Ensemble auf dem Kassberg, die Freiluft-Kunstprojekte in der “Stadt der Moderne”, als die sich Chemnitz selbstbewusst bezeichnet. Oder seien es die Museen samt Industriemuseum – sie stehen schon auf meiner Urlaubsliste. Chemnitz prosperiert also, weiß mit seinen Pfunden zu wuchern und hat sich für 2025 den Titel Kulturhauptstadt Europas wirklich verdient.

Aber zurück zur Woche mit dem Film und “meiner” Jury. Natürlich beförderten auch die Juryarbeit, die Fachgespräche mit anderen Jurys das positive Gefühl eines wohltuend-achtsamen Umgangs miteinander. Denn zu den Gedanken zu Filmen gesellten sich unweigerlich auch Gedanken zum eignen Woher und Wohin. Und weiteten dabei eigenen Blickhorizont wie Verständnis füreinander. Deutsch-deutsche Begegnungen mit Gewinn also – auch nach 30 Jahren. Aber eben nur so, als analoge Form des “ganzheitlichen” Erlebens von Gesprächspartnern wirklich sicht- und erlebbar.


Die Gedanken zum Festival selber beginnen mit meinem zweiten Geständnis: Wusste ich wohl seit vielen Jahren von seiner Existenz, so war das Festival bisher nicht derart in mein Gedächtnis gerückt wie z. B. der “Goldene Spatz” in Gera. Eigentlich eine Schande. Nun, unter Corona-Bedingungen und den ständigen Befürchtungen von verschärften Auflagen und Hygienevorschriften oder urplötzlichem Abbruch ein Jubiläum auch noch mit Bravour zu stemmen, das grenzte schon ans Unmögliche. Nicht grundlos sprach Festivalleiter Michael Harbauer am Ende der online übertragenen und leider nur von Jurys und Festrednern besuchten Abschlussveranstaltung von einem Festival, das sich kräftemäßig wie drei angefühlt hatte.

In meinen Augen waren es gar vier. Denn neben der Suche und Einbindung neuer Abspielstätten zwecks Einhalten von Abstandsregeln für die immerhin insgesamt 13.000 Besucher – vornehmlich natürlich Kinder und Jugendliche – die sich 263 Filme aus 40 Ländern ansehen konnten, galt es ja, anreisen wollende Filmemacher, Schauspieler und Juryleute auf dem Laufenden zu halten über Möglichkeit oder meist Unmöglichkeit ihres Kommens. Und nicht nur das: Gleichfalls mussten ja Formen des digitalen Vernetzens mit einbezogen oder Wege gefunden werden, Filmschaffende per Videoschaltung ins Kino zu holen. Letzteres z.B. klappte von Mal zu Mal besser, war auch eine akzeptable Lösung. Zeigte aber immer wieder: Nichts kann leibhaftigen Kontakt zum Publikum ersetzen, alles andere ist nur eine Ersatzlösung.


Soweit meine schon im Oktober verfasste “Anmoderation”. Auch damals wohl wissend, wieviel kreative Energie verbrannt, wieviel künstlerische Existenz bedroht oder gar zerstört wurde in nur 7 Monaten. Und leider richtig vermutend, dass alles auf dem Festival Gesehene vorher, in “besseren Zeiten” – die für Filmschaffende nie leichte Zeiten waren – produziert worden war. Noch vor Kürzung, Schließung, Abbruch. Noch vor Lockdown.

Trotzdem wollte ich den lockeren Ton beibehalten. Überschaubar und eingegrenzt war er ja, der Lockdown. Der helle Streif am Horizont musste sich einfach bald zeigen. Aber stattdessen blieb der dunkel. Für wen alles? Für wen nicht? Ich denke nicht nur beim Schreiben an die gestrichenen (Film-)Projekte, die Enthusiasten in der Film- und Festival-Branche, die geschlossenen Kinos. Die Filme, die ich noch sehen konnte, preisgekrönte wie ungekrönte. Sie alle haben ihr Publikum verdient, redlich verdient. Und ich wünsche von Herzen, sie mögen es bekommen. Bald. Und nicht erst nach dem Ende des 3. Lockdowns. Von dem würden nur die großen Player profitieren...

Aber endlich: Was waren das nun für Spielfilme, die auf unserem Preisverdächtigungs-Programm standen? Immerhin ganze 15, doch im Verhältnis zur Gesamtheit des Lang- und Kurzfilmangebotes nicht einmal 6 Prozent! Daraus fundierte Schlüsse zu ziehen über die Komplexität von Themenschwerpunkten und Stilrichtungen erlaube ich mir deshalb nicht. Aber was unsere Jury zu sehen bekam, war dennoch aufschlussreich.

Ausgiebig diskutiert haben wir über jeden Film, denn jeder war es wert und hatte seine eigene Portion Tiefgang.


Dennoch machte es mich ein wenig nachdenklich, dass zum Beispiel die Europäische Kinderfilmjury, diesmal aus Warschau zugeschaltet, den bestdotierten Hauptpreis (ausgelobt von der sächsischen Kunstministerin) an Ärger hoch drei (Polen 2020, Regie Marta Karowska) vergab, eine flott-geheimnisvolle Detektivgeschichte um 3 Teenies auf der Suche nach einem gestohlenen Kunstwerk, das Ganze garniert mit dem Hauch einer kummervollen Eltern-Kind-Beziehung. Keine Erwachsenen-Jury kam auf die Idee einer Bepreisung. Auch wir nicht. Vergessen wir vielleicht manchmal unser eigenes Kindsein, und das auch wir unlösbare Probleme lieber mit launigem Humor zudeckelten?

Weit entfernt vom Zudeckeln war Moon Rock for Monday (Australien 2020, Regie Kurt Martin), den die Fachjury Spielfilm International mit dem von der der SLM (Sächsische Landesanstalt für privaten Rundfunk und neue Medien) ausgelobten 2. Hauptpreis würdigte, die Fipresci ebenso auszeichnete und  der Club of Festivals Junior lobend erwähnte. Uns fesselte emotional sehr die Geschichte um das todgeweihte 10-jährige Mädchen Monday. Vom Vater aufopferungsvoll behütet, doch auch abgeschirmt von der Welt draußen, hat es einen großen Traum: Einmal auf den Heiligen Berg der Aborigines klettern und die magischen, heilenden Mondsteine berühren. Nichtsahnend gerät Monday zufällig an Taylor, einen jungen Kleinkriminellen und Mörder wider Willen, der auf der Flucht vor der Polizei ist. Als Roadmovie angelegt, erzählt der Film auf tragikomische Weise von der Sehnsucht eines jeden Menschen nach Selbstbestimmung und Vertrauen. Und von der Möglichkeit, dadurch seelisch wie moralisch zu reifen. Selbst wenn die Lebenszeit dafür nur kurz bemessen ist.


In der Begründung der Fipresci hieß es dazu: “Auch in seiner formalen Umsetzung gelingt es dem Film, unsere gängigen Sehgewohnheiten und damit auch mögliche Vorurteile gegenüber anderen Menschen zu hinterfragen. Geschickt werden bekannte Erzählmuster aus anderen Filmen aufgegriffen, um sie dann in der Entwicklung der Charaktere wie auch im weiteren Handlungsverlauf aufzubrechen. Vor allem aber ist der ganz aus der Perspektive des Mädchens erzählte Film, das in ihrer charismatischen Natürlichkeit bezaubert, ein für Jung und Alt gleichermaßen verständliches Loblied auf das Leben und die Freude am Leben.” Dieser Film stand auch auf unserer Bestenliste. Bauchschmerzen bereitete mir persönlich jedoch die rein auf Rache gegründete Tötung des wehrlosen Jugendlichen durch einen Polizisten. Noch dazu dramatisch zugespitzt vor den Augen des kleinen Mädchens. Loblied auf das Leben oder beeinträchtigende Verstörung junger Zuschauer? Beides ging für mich nicht so recht zusammen.

Den finanziell drittdotierten Preis, gestiftet von der Stadt Chemnitz, vergab die Fachjury Spielfilm International an Schwesterchen (Russland, 2019 Regie: Alexander Galibin), den weiterhin  die Europäische Kinderfilmvereinigung EFCA  mit ihrem Preis bedachte und der von uns eine Lobende Erwähnung erhielt.

Die Fachjury begründete ihre Entscheidungen für uns ergänzend mit den Worten: “Den Filmemachern ist es gelungen, den Zweiten Weltkrieg zu thematisieren ohne ihn in Bilder zu bringen. Schwere Themen werden mit einer gewissen Leichtigkeit angegangen, und dabei ist der Film sehr poetisch und über die gesamte Laufzeit hinweg immer nah bei den Kindern – aus Sicht der Kinder.”


Gleichfalls den 40er Jahren des vorigen Jahrhunderts in der Sowjetunion widmete sich Taganok-Team (Russland 2020, Regie Ainur Askarow). Nach einem vielgelesenen Buch von Mustaj Karim entstanden, erzählt der Film von einer Jungenclique, die sich einer hehren Mission verschrieben hat. Sie will ihr baschkirisches Dorf retten, das der Legende nach durch einen Bergsturz vernichtet werden wird. Dabei entdecken alle vier, dass nur Beharrlichkeit, Ehrlichkeit und Verständnis zum Ziel führen. Durchaus mit Witz und Freude am Detail inszeniert, führt der Regisseur Patriotismus und Heldenverehrung als wichtige Kategorien wieder in den russischen (Kinder-)Film-Kanon ein, ähnlich wie Alexander Galibin in “Schwesterchen”. Eine Tendenz, die mich nicht unbedingt in Erstaunen versetzte.

Unser eigentlicher Preis ging an den von keiner anderen Jury mitbedachten Animationsfilm Die Reise des Prinzen. Erschaffen von Xavier Picard und von Altmeister Jean-François Laguinie, der für frühere Filme schon mit Goldener Palme und César geehrt wurde. Gefangen nahmen uns hier einerseits die sanft hingetuschten, aquarellartigen Zeichnungen. Sie heben sich angenehm ab von zeitgenössischen Mainstream-Mustern. Entwerfen mit Phantasie eine ver- wie entzauberte Welt. Mit Wesen, denen man ihre Herkunft noch ansieht: Sich halb wie Affen gebärdend und auch noch so aussehend, gefangen im eingerosteten Regelwerk der  Wissenschaft, kennzeichnen sie doch menschliche Eigenschaften wie Hochmut, Neid, Missachtung von Natur und allem Fremden. Erst als ein seltsames Geschöpf einer anderen Hemisphäre an ihrem Ufer strandet und von einem aufgeweckten Halbaffenjungen gefunden wird, gerät dieses System gefährlich in Schieflage. Ein Film, dessen Vieldeutigkeit bestens geeignet ist für einen gemeinsamen Besuch von Jung und Alt und Gesprächen danach.


Bemerkenswerte Einblicke in das iranische Filmschaffen gab mir auch der auf dem iranischen Roshd Filmfestival ausgezeichnete Nachtzug (Iran 2019) von Hamidreza Ghotbi. Darin wird die simpel beginnende Suche einer fünfjährigen Halbwaisin nach mütterlicher Liebe zu einem raffinierten Vexierspiel, in dem Realität und Fiktion ständig miteinander verschmelzen. Denn die Zugbekanntschaft des Mädchens mit einer Bücher schreibenden Lehrerin hat bei beiden unterschiedliche Folgen. Während die Kleine Großmutter und Vater mit der Sehnsucht nach der Unbekannten und deren versprochenem Anruf in Atem hält, beschäftigt die ganz anderes: Sie spornt ihre Jungen(!)klasse dazu an, ihre real erlebte Begegnung weiterzuspinnen, mit immer wieder neuen gedanklichen Pirouetten. Ohne sich jedoch lange Zeit die vielleicht wirklichen Seelennöte des Mädchens bewusstzumachen… Bei einiger Betulichkeit, die sich mit der verschachtelten Erzählweise beißt, spricht aus dem Stil des Films das starke Bestreben, Kinder ernstzunehmen – sowohl künstlerisch als auch emotional.


Neugierig war ich ebenso auf Die Schwarze Mühle. Bislang  kannte ich nur den nach Jurij Brezans gleichnamigem Buch entstandenen DEFA-Film, gedreht 1975 von Celino Bleiweiß. Ein düsteres, atmosphärisch dichtes Meisterwerk. Dieser polnische Beitrag gleichen Titels, doch anderen Inhalts aus dem Jahr 2020 (Regie: Mariusz Palej) kommt ebenfalls düster und spannend daher. Als modern-mystisches Menetekel einer Herrschaft der Maschinen über die Menschen: Die Schwarze Mühle wird zum Sinnbild für fehlgeleiteten Fortschritt, der alles Lebendige unter sich zermalmt. Wäre da nicht ein behindertes Mädchen, das ungeahnte Kräfte in sich birgt. Sie ist die kleine Schwester von Iwo, dessen Vater in der Mühle ums Leben kam. Während Celino Bleiweiß damals einen assoziativen Stil bevorzugte,  bleibt Mariusz Palej fast dokumentarisch nah an der tristen Realität eines kleinen Dorfes und ihrer Bewohner. Was nicht bedeutet, dass ihm eingängige Mittel aus dem Actionkino fremd sind. Unübersehbar ist aber seine Botschaft. Die legt die wirklich wichtigen Werte im Leben auf die Waagschale. Und die Erkenntnis, dass jeder Mensch, ob unbehindert oder nicht, einzigartig und wichtig ist.

Besonders erfreulich: Die Juniorjury vergab ihren Preis an diesen Film: “Uns hat sehr beeindruckt, dass das Thema des Umganges mit behinderten Menschen und die schließlich gelungene Integration auf so emotional packende Weise erzählt wird.”

Packend erzählt ist auch Der Club der hässlichen Kinder (Niederlande, 2019 Regie: Jonathan Elbers), den die Jury des Club of Festivals Junior auszeichnete: “Dieser Film vermittelt eine wichtige, positive Botschaft in Form einer politischen und sozialen Dystopie, die in Kinderfilmen sehr selten ist. Er hat einen außergewöhnlichen Produktionswert, eine fesselnde Handlung und starke Charaktere, wodurch er sich perfekt für die jüngere Altersgruppe eignet.” 


Was da passiert, ist wirklich bizarr: In einer Schönheits- und Hygiene-Diktatur werden unter Vorspiegelung falscher Tatsachen plötzlich landesweit jene Kinder in schwarze Busse verladen, die anders sind. So auch Paul mit seinen großen abstehenden Ohren. Während er sich bereits in großer Gefahr befindet, lässt sein Vater wie alle anderen Erwachsenen den neuen Führer noch hochleben. Zum Glück findet Paul im “Club” gleichaltrige Verbündete, die mit ihm mutig und einfallsreich dem Regime trotzen. Jonathan Elbers spart nicht mit geschickt arrangierten Versatzstücken aus Actionkino und sogar Musikrevue. Aber eben dadurch wird er gewiss bei Wiederbelebung der Kinolandschaft ein breites Publikum gewinnen können.

Was wäre ein Festival ohne unterschiedliche Handschriften? Ein bisschen bleiben wir noch (Österreich, 2020 Regie: Arash T. Riahi, Kinderdarsteller: Leopold Pallua, Rosa Zant), den der Club of Festivals lobend erwähnte und dessen 2 Hauptprotagonisten die Fachjury Spielfilm National gleich zwei “Beste Kinderdarsteller”-Preise verlieh, ist von gänzlich anderer Natur. Er zeichnet mit wenigen, doch intensiven Strichen das tragische Schicksal einer tschetschenischen Flüchtlingsfamilie im heutigen Wien. Dorthin sind vor Jahren die beiden Minderjährigen Oskar und Lilli mit ihrer Mutter gekommen. Nachdem diese, völlig traumatisiert durch die ausweglose finanzielle Situation, einen Suizidversuch unternimmt, müssen die Kinder zu verschiedenen Pflegefamilien. Sie werden durchaus wohlwollend aufgenommen, erfahren auf die eine oder andere Weise Verständnis. Aber sie wollen doch viel lieber wieder beisammen sein und zudem ihre Mutter aus der Psychiatrie befreien! Wenn auch die Altklugheit des 8-Jährigen Oskar etwas zu aufgesetzt wirkte, so bewegten mich die seelischen Zerreißprozesse, die sensibel gezeigt wurden. Ein aufrüttelnder Film, eher geeignet für größere Zuschauer.


Zuletzt möchte ich nur noch Leben ohne Sara Amat (Spanien 2019, Regie: Laura Jou) etwas genauer beschreiben: Einfühlsam und unverklemmt visualisiert die Regisseurin die ersten Liebeserfahrungen des 13-jährigen Pep, den Kosmos widerstreitender Gefühle, die damit einhergehen (können). Wie soll sich Pep verhalten, als ihm unangekündigt die angehimmelte, etwas ältere Laura in seinem Zimmer empfängt? Von den Eltern weggelaufen und nun überall im Dorf gesucht, will sie heimlich bei ihm unterkommen. Seiner Großmutter, bei der er in den Ferien zu Gast ist, soll natürlich nichts verraten werden. Der Balanceakt zwischen Gefühl und Gewissen, Neugier und Sich-Ausgenutzt-Fühlen wird für Pep zu einer gewaltigen Herausforderung. Sara hingegen sieht sich mit einer anderen Herausforderung konfrontiert: der Lieblosigkeit und Heuchelei ihrer Eltern. Mag manches gestalterische Beiwerk konstruiert erscheinen – die ambivalente Charakterisierung des Mädchens, ihre verzweifelte Flucht ins Unbekannte gehörten für mich mit zu den Stärken des Films.