Bericht von Peter Paul Huth
Hofer Filmtage 2025 (© Christa Herdegen)


Wenn man nach Hof fährt, hat man das Gefühl einer Zeitreise in eine andere Welt. Früher lag Hof im sogenannten Zonenrandgebiet, im Norden die Grenze zur DDR, im Osten die Tschechoslowakei. Für die Region gab es eine besondere Förderung, die nach der Wiedervereinigung wegfiel und der Stadt ökonomisch sehr zusetzte. Heute liegt Hof mitten in Deutschland, aber es fühlt sich immer noch an, als sei man irgendwo am Rand der Welt. Die schlechte Zugverbindung trägt das ihre dazu bei.

Einmal angekommen, ist man überrascht vom eigenwilligen Charme des Ortes. Die Filmtage sind für Hof ein kulturelles Highlight des Jahres. Das Wetter ist Ende Oktober zwar wenig einladend, aber die Atmosphäre freundlich und familiär. Der weiche fränkische Tonfall tut sein Übriges. Der Wärschtlamo vor dem Kino Central bietet bis Mitternacht fränkische Bratwürste „2 im Weggla“ (2 im Brötchen). Dabei wären die Filmtage in diesem Jahr (21.-26.10.2025)  fast gescheitert, als kurzfristig das zweite Kino ausfiel. Wenige Wochen vor der Eröffnung fanden die Veranstalter in letzter Minute Ersatzspielstätten, u.a. in einer Turnhalle und im Haus der Musik.

Höhepunkte des Programms waren eine Reihe von Dokumentarfilmen, die einen starken Eindruck hinterließen. An erster Stelle wäre „The Last Ambassador“ von Natalie Halla (Österreich 2025) zu nennen. Die Wiener Filmemacherin portraitiert Manizha Bakhtari, die letzte afghanische Botschafterin in Österreich. Nach der Machtübernahme der Taliban wird sie von den neuen Machthabern offiziell entlassen, aber sie weigert sich, ihren Posten zu räumen. Sie zieht mit einer kleinen Mannschaft in ein bescheidenes Quartier, wo man weiter konsularische Aufgaben erledigt. Daraus und mit Spenden der afghanischen Diaspora kann ihre Arbeit finanziert werden. Wir sehen wie Manizha Bakhtari, die ihr Land weiter vor den UN Gremien in Wien vertritt, wie sie eine Konferenz des afghanischen Widerstands organisiert und eine Stiftung gegründet, die Frauen und Mädchen in Afghanistan unterstützt. Dazwischen schneidet die Autorin Bilder des Chaos nach der Eroberung Kabuls durch die Taliban. Wir sehen auch Frauen, die gegen das islamistische Regime demonstrieren, das Mädchen und Frauen den Zugang zur Schule und zur Universität verweigert und alles unternimmt, um sie zuhause einzusperren.

Durch die Kriege in der Ukraine und in Gaza ist Afghanistan aus den Schlagzeilen verschwunden, „The Last Ambassador“ macht aufmerksam auf eine mutige Diplomatin, die nicht bereit ist, das hinzunehmen.

Auch die Protagonisten von Florian Hoffmanns Dokumentation „Die Unverzichtbaren“ (Deutschland 2025) tauchen nicht in den Nachrichten auf. Es sind Menschen, die anstrengende und unverzichtbare Jobs machen, aber im Schatten stehen. Menschen, wie Güven Ciftci, der bei einer Reinigungsfirma arbeitet und morgens um 4 Uhr aufstehen muss, oder Cynthia Würpel, die ihre beiden Kinder zur Schule bzw. in den Kindergarten bringt, bevor sie als mobile Pflegekraft alte und kranke Menschen versorgt. Oder der Paket-Fahrer bei DHL Khaleel Al Bodach, der aus dem Iraq kommt und erzählt, dass es in seiner Heimat niemanden gibt, der die Post bringt. Was die drei Protagonisten verbindet, ist ihre Überzeugung, dass es wichtig ist, zu arbeiten, um am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. Was sie sich wünschen, ist mehr Anerkennung für ihre Arbeit, von einer besseren Bezahlung ganz abgesehen. 

Dem Filmemacher Florian Hoffmann gelingt es, eine Atmosphäre zu schaffen, in der sie sich offen und angstfrei äußern können. Man ist beeindruckt wie persönlich und eloquent über die drei Protagonisten über ihr Leben und die damit verbundenen Herausforderungen sprechen. Am schwersten war es, die Zustimmung der Arbeitgeber zu bekommen, erzählt Florian Hoffmann. Am ersten Drehtag wurde ein Mitarbeiter der Firma mitgeschickt, um aufzupassen, dass nichts Kritisches gesagt wurde. Bald hatten die Aufpasser keine Lust mehr, um 4 Uhr aufzustehen. Erst dann fühlten die Protagonisten sich frei genug, unzensiert zu sprechen. „Die Unverzichtbaren“ sind Menschen, die dafür sorgen, dass unser Alltag funktioniert und dabei unsichtbar bleiben. Sie auf einfühlsame Weise sichtbar zu machen, ist die besondere Leistung des Films. 

Eine seltsame Schattenseite des Kapitalismus zeigt der Schweizer Film „Architektur des Glücks“ von Anton von Bredow und Michele Cirigliano. Sie erzählen von Campione, einem Fischerdorf am Ufer des Lago di Lugano, das 1933 von Mussolini in Campione d’Italia umbenannt wurde. Schon 1917 hatte man hier ein Spielcasino eröffnet, um auf „neutralem Territorium“ ausländischen Diplomaten in entspannter Atmosphäre militärische Geheimnisse zu entlocken, wie man hoffte. Später wurde das Casino von Campione zu einem Treffpunkt von Glamour und Luxus, von dem auch die Gemeinde als Besitzerin des Casinos profitierte. In den 2000er Jahren ließ man das alte Casino mit seinem Charme der 20er Jahre abreißen und sich von dem berühmten Tessiner Architekten Mario Botta ein neues bauen. 2007 wurde es als größtes Casino Europas eröffnet, ein gigantischer Klotz, der aussieht, als sei ein überdimensionales Ufo mitten im Ort gelandet. 

Doch 2018 kam die sprudelnde Geldquelle zu einem abrupten Ende. Das Casino war zu groß geplant war und hatte zu wenig Besucher. Über Nacht war es pleite und mit ihm auch die Gemeinde. Hunderte von Croupiers und andere Mitarbeiter wurden arbeitslos. Auch die Schweizer Dienstleistungen wie Müllentsorgung und Abwasserreinigung konnten nicht mehr bezahlt werden. Immer mehr Menschen wanderten ab, Campione wurde zu einer Luxusruine. Die Filmemacher lassen die unterschiedlichsten Dorfbewohner erzählen, ehemalige Croupiers, den Pfarrer, eine türkischstämmige Anwältin und eine russische Immobilienmaklerin. Der Film endet damit, dass im Januar 2022 das Casino mit reduziertem Personalbestand wieder eröffnet wird.

Mario Bottas Gebäudes wirkt eine Stein gewordene Metapher für den Glauben an eine unendliche Vermehrung von Geld und Reichtum, ein perpetuum mobile finanziellen Glücks. Kein Wunder, dass sich der Pfarrer angesichts des monumentalen Casinos an das biblische Gleichnis vom Turmbau zu Babel erinnert.

Die Hofer Filmtage sind inzwischen im 58. Jahr angekommen und zu einem Markenzeichen der Stadt geworden, weshalb Hof sich auch gerne ‚Home of Films‘ nennt, eine Formulierung, die von Wim Wenders stammen soll. In den späten 6oer und 70er Jahren kam die Münchener Filmszene nach Hof, weil sie nirgendwo sonst ihre Filme zeigen konnten. Als nostalgische Erinnerung gab es in diesem Jahr eine 35mm-Projektion des frühen Fassbinder-Werks „Götter der Pest“ (1970), eine krude schwarz-weiß Geschichte von kleinen Gangstern und bösen Polizisten mit Dialogen wie aus dem Schülertheater und filmischen Anleihen bei amerikanischen und französischen Gangsterfilmen à la Jean Pierre Melville. Der Hauptdarsteller Harry Bär war als Ehrengast nach Hof gekommen. Lange Jahre hat er mit Fassbinder zusammengearbeitet, heute erlebt man ihn als einen freundlichen älteren Herrn von 78 Jahren.

So haben die Filmtage auch etwas von einem Veteranentreffen. Nach dem letzten Film sitzt man abends bei Wein und Bier im Hotel Strauß und erinnert sich an die alten Zeiten, als der Wim (Wenders) und der Rainer (Werner Fassbinder) regelmäßig nach Hof kamen, als der Werner (Herzog) und später der Christoph (Schlingensief) hier ein- und ausgingen. Inzwischen gibt es andere Festivals wie München oder den Max Ophüls Preis in Saarbrücken, die verstärkt deutsche Filme zeigen. Auch die Berlinale ist inzwischen offener für junge Filmemacher aus Deutschland. Trotz aller Widrigkeiten gelingt es Hof, sich in der Festivallandschaft zu behaupten und auch ein lokales Publikum anzuziehen. Die Filmtage haben ihren oberfränkischen Reiz behalten, auf den man am Ende der Festivalsaison nicht verzichten möchte.

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