Das Jameson CineFest Miskolc auf Erfolgskurs

Bericht von Ingrid Glatz-Anderegg (Schweiz), Präsidentin der Ökumenischen Jury

Das schmucke Bild der historischen und kürzlich sorgfältig renovierten, autofreien Innenstadt von Miskolc mit dem alten Tram verrät nicht gleich das Ringen ums Überleben der Bevölkerung von Miskolc. Die viertgrösste Stadt Ungarns verlor nach der Wende in den 1990er Jahren seine wichtige Rolle in der Industrie. Der wirtschaftliche Niedergang nach dem Ende des sozialistischen Zeitalters traf die Industriestädte des nördlichen Ungarns am härtesten. Miskolc versucht jetzt, als kulturelle Stadt bekannt zu werden. Zu den wichtigsten alljährlichen kulturellen Ereignissen gehören das Internationale Chambre Orchestra Festival, das Internationale Opernfest und das Jameson CineFest.

Ein kleines Festival von grosser Bedeutung
Das Miskolc Jameson CineFest ist kein Glamour Event mit rotem Teppich und internationalen Stars. Es bereichert eher die Palette der kleinen und mittelgroßen Filmfeste und will vor allem Erst- und Zweitarbeiten junger Filmemacher zeigen. Deshalb fokussiert es auf Spielfilme, Kurzfilme, Experimental- wie auch Dokumentar- und Animationsfilme von Regisseuren, die zum Zeitpunkt des Dreharbeit nicht mehr als 35 Jahre alt gewesen sind. Zudem darf die Herstellung des Films nicht länger als drei Jahre zurückliegen.
Das Jameson CineFest ist zurzeit Ungarns grösstes internationales Filmfestival. Nicht zuletzt auch  wegen verschiedener Nebenveranstaltungen wie Preisverleihungen, Workshops, Konferenzen, Masterklassen und neuerdings auch einen erstmals durchgeführten internationalen Filmmarkt findet es innerhalb der ungarischen Filmbranche und bei der Presse mehr und mehr Beachtung. Deshalb konnte auch die Finanzierung wiedersicher gestellt werden, wobei die augenfälligen Werbeflächen nicht darüber hinweg täuschen, dass das Festival zu 80% durch Jameson Whiskey finanziert ist.
Am diesjährigen 9. Jameson Cinefest Miskolc vom 14. bis zum 23. September 2012 beurteilten fünf verschiedene Jurys entweder die 16 Spielfilme im offiziellen Wettbewerb (alles ungarische Premieren), die 11 Dokumentar- und 20 Animationsfilme oder die 22 Kurzfilme. In der Reihe „Open Eye Films“ gab es 8 weitere Langspielfilme zu sehen, Dazu gab es die Compass Dokumentarfilmtage, einen Media Informationstag und einen Jamson CineKinderfesttag. Workshops, Masterklassen und Konferenzen bereicherten das Programm. Film Classics Miskolc, das unter dem Patronat von István Szabó steht, gedachte dem in Ungarn geborenen Gründer von Paramount Pictures, Adolph Zukor, und zeigte It’s A Wonderful Life (USA 1946). Eine andere Konferenz war dem Film Casablanca (USA 1942) und seinem Regisseur Michael Curtiz gewidmet, der ebenfalls ursprünglich aus Budapest stammte. Schliesslich wurde die dreifach Oscar-nominierte Regisseurin aus Polen Agnieszka Holland geehrt und mit dem Preis für ihr Lebenswerk ausgezeichnet.

Familienprobleme im Focus
Die Beiträge des Spielfilm-Wettbewerbs – die meisten eher von konventioneller Machart - handelten vorwiegend von Familienproblemen und von Menschen, die auf der Suche sind nach ihrer Identität. Im  Film Nuit # 1 von Anne Émond (Kanada 2011) schleicht sich Clara nach einer wilden Partynacht und einem One-Night-Stand mit Nikolais heimlich aus dessen Wohnung. Er bemerkt es und fordert Clara zum Bleiben auf. Was als rein körperliche Beziehung begann, endet damit, dass sich die beiden Fremden in langen Monologen bis zum Morgengrauen ihre Herzen ausschütten. In Everybody is in Our Family von Radu Judes (Rumänien 2012), kämpft ein Vater um das Besuchsrecht seiner Tochter. In Smashed von James Ponsoldt (USA 2012) sucht eine junge Lehrerin einen Weg aus der Alkoholsucht. Die amerikanische Regisseurin Rebecca Thomas erzählt in Electrick Children (USA 2012) von der 15 jährigen Rachel, die in einem fundamentalistischen Umfeld der Mormonen ihre Schwangerschaft damit rechtfertigt, dass sie - wie damals Maria – das Kind vom heiligen Geist erhalten habe. Im Mittelpunkt von Beasts of the Southern Wild von Benh Zeitlin (USA 2012), der in Cannes von der Ökumenischen Jury eine lobende Erwähnung zugesprochen erhalten hat, steht ein afroamerikanisches Mädchen namens „Hushpuppy“, das mit ihrem schwerkranken Vater im abgelegen Sumpfland Louisianas aufwächst. Ihre Heimat wird von einem schweren Sturm verwüstet, während das fantasievolle und naturverbundene Mädchen gleichzeitig die baldige Ankunft von vor Urzeiten eingefrorenen Monstern erahnt, die die schmelzenden Polarkappen freigegeben haben. Leider fehlten im internationalen Wettbewerb ungarische Filme. „Es gibt keine“, war die Antwort seitens der Festivalleitung auf das Warum. Unter der momentanen politischen Situation scheint die ungarische Filmproduktion aber ins Stocken geraten zu sein.

Die Favoriten der Ökumenischen Jury
Den Film Deine Schönheit ist nichts wert von Hüseyin Tabak (Österreich 2012), der vom Integrationsprozess einer türkisch-kurdischen Flüchtlingsfamilie in Österreich erzählt,  zeichnete die Ökumenische Jury mit ihrem Preis aus. ImMittelpunkt steht der zwölfjährige Veysel, der den Weg aus seiner Sprachlosigkeit durch das Übersetzen und Erlernen eines Gedichtes von Asik Veysel sucht, dem berühmtesten türkischen Dichter und Sänger des 20. Jahrhunderts. Damit erhofft er sich die Aufmerksamkeit seiner geliebten Ana sowie den Respekt der Gesellschaft zu gewinnen. Für die Jury zeigt der Film “auf eindrückliche Weise das Alltagsleben von Minderheiten, die bei uns leben, und hilft, die Komplexität der Probleme von Flüchtlingen zu verstehen”. Dabei schafft der Regisseur “mit einfachen Stilmitteln und artistischem Geschick ein ausgewogenes Gleichgewicht zwischen einer Alltagsgeschichte und stilvoller, berührender Poesie.
Wäre es nach der Jury gegangen und nicht nach den Festivalregularien, die „Lobende Erwähnungen“ nicht vorsieht, dann wäre ein solche an den Film Teddy Bear von Mads Matthiesen (Dänemark 2012) gegangen. Die Geschichte handelt von einem alternden, vaterlos aufgewachsenen Bodybuilder. Er hat ein Leben lang hinter seinen Muskelbergen seine tiefe innere Unsicherheit und Abhängigkeit von der dominanten Mutter zu verbergen gesucht. Nach einer Reise nach Thailand und der Begegnung mit einer Frau jenseits der Welt des Sextourismus gelingt es ihm schließlich, die eingefahrenen Bahnen seines Lebens aufzubrechen - eine sensible, ebenso überzeugend gespielte wie inszenierte Studie, die in einem Einzelschicksal grundsätzliche existentielle Fragen wie Glück und Lebenssinn, Liebe und Elternschaft, Fürsorge und Freigeben thematisiert und im liebenden Blick auf die Protagonisten implizit von einem christlichen Menschenbild durchformt ist.

Panel über religiöse Dimensionen im zeitgenössischen Film
Die hohe Wertschätzung für die Ökumenische Jury, die dieses Jahr zum zweiten Mal am CineFest Miskolc präsent war, brachte Festivaldirektor Tibor Bíró unter anderem dadurch zum Ausdruck, dass er zu einem Podium ( „International Ecumenical Media Conference“) über religiöse Dimensionen im zeitgenössischen Film einlud, das die Aufmerksamkeit einer erfreulich grossen Anzahl Besucherinnen und Besucher fand. Nach einer Einführung durch Tibor Bíró wurden diese durch Katalin Csöbör, Parlamentsabgeordnete aus Miskolc in Budapest und Mitglied des Komitees für Menschenrechte, Minderheiten, zivile und religiöse Angelegenheiten, sowie Gábor Kiss, Vice-Präsident der Stadt Miskolc, begrüsst. Thematisch führte Ingrid Glatz in das Panel ein. Hans Hodel machte in seiner Eigenschaft als Präsident von INTERFILM  mit dem Leitbild und der Arbeit des ursprünglich protestantischen Netzwerkes für kirchliche Filmarbeit bekannt und erläuterte am Beispiel ausgewählter Preisträgerfilme die Kriterien, an denen sich die ökumenische Jury bei ihrer Arbeit orientiert. Akos Kovác, Präsident von SIGNIS Ungarn, orientierte in einer kurzen Übersicht über die Geschichte der internationalen katholischen Filmarbeit und erläuterte den Zusammenhang von Film, Ästhetik und Theologie. Der lutherische Bischof, Tamás Fabiny, unterstrich in seinem Kurzreferat das zunehmende Interesse der ungarischen Kirchen am Filmschaffen. Eine rege Frage- und Antwortstunde gab Gelegenheit, die Präsentation zu vertiefen und abzurunden. Die Festivalleitung bekundete ihre Zufriedenheit über den Anlass mit der Hoffnung, auch im nächsten Jahr wieder einen Anlass zum Thema „Film und Theologie“ ins Begleitprogramm aufnehmen zu können.