70. Internationale Kurzfilmtage Oberhausen

01.05.2024 bis 06.05.2024
Oberhausen


Am 5. Mai 2024 wurden die Preise der 70. Internationalen Kurzfilmtage Oberhausen im Festivalkino Lichtburg vergeben. Die Ökumenische Jury im Internationalen Wettbewerb verlieh ihren Preis an den deutsch-chinesischen Film "O ma" (Before Then) von Xie Mengzhu und eine Lobende Erwähnung an"Hitbasrut" (Decryption) von Maya Zack aus Israel, die Ökumenische Jury im Kinder- und Jugendfilmwettbewerb zeichnete die japanisch-amerikanische Produktion "The Old Young Crow" von Liam LoPinto aus und vergab eine Lobende Erwähnung an "Lulina e la lua" (Lulina and the Moon) von Marcus Vinicios Vasconcelos und Alois Di Leo aus Brasilien. Der Große Preis der Stadt Oberhausen ebenso wie der Preis der Jury der Internationalen Filmkritik (Fipresci) ging an den chinesischen Regisseur Wang Zhiyi für seinen Film "Chūn Èr shí sān" (Spring 23), der Hauptpreis der Internationalen Jury an "The Many Interrupted Dreams of Mr. Hemmady" von Amit Dutta aus Indien.

Die Jubiläumsausgabe des Festivals wurde überschattet von den Kontroversen um den Krieg in Gaza. Kurz nach den Greueln der Hamas am 7. Oktober hatte Festivalleiter Lars Henrik Gass eine Aufforderung zur Unterstützung einer Solidaritätsdemonstration in Berlin für Israel und gegen Antisemitismus gepostet. Propalästinensische Gruppen versuchten daraufhin, einen Boykott des Festivals zu organisieren, mit dem Effekt, dass etliche Filmemacher und Verleihfirmen ihre zum Teil bereits festgebuchten Filme aus dem Programm zurückzogen. Nüchterne und differenzierte Erklärungen des Festivalleiters hatten wenig oder gar keinen Erfolg. Kurzfristig mussten Teile des Festivals neu gestaltet werden. Auch in der Öffentlichkeit jenseits der sozialen Medien wurde der Konflikt verfolgt.

Als weitere Reaktion auf die Polarisierung der Auseinandersetzung wurde zum Auftakt des Festivals eine Diskussionsveranstaltung unter dem Titel "Sehnsucht nach Widerspruchsfreiheit" angesetzt, die Differenzierungen jenseits der verhärteten Fronten anmahnte und im Rahmen der offiziellen Eröffnungsfeier am Abend des 1. Mai durch eine Diskussion mit Lars Henrik Gass, der Soziologin Alexandra Schauer und dem Filmkritiker und Filmemacher Rüdiger Suchsland abgeschlossen wurde. Auch ein während des Festivals stattfindendes Seminar zur Frage "Sind Festivals noch ein universalistisches Projekt?" setzte sich unter anderem mit dem Festivalboykott auseinander. Eine politisch-symbolische Ermutigung erhielt Gass kurz vor Beginn des Festivals durch die Ankündigung, ihm zur Würdigung seines Engagements für die deutsch-israelischen Beziehungen die Ernst-Cramer-Medaille 2024 der Deutsch-Israelischen Gesellschaft zu verleihen. Die Verleihung wird am 8. Juni in Bremen stattfinden.

Link: Festival-Website

Auszeichnungen

Before then
Regie:
2023

Sprache kann eine Barriere sein: Wir kennen die Sprache des anderen nicht oder verstehen das Gesagte anders. Sprache kann auch befreiend sein: Endlich aussprechen, was mich beschäftigt, mich offenbaren und mein Gegenüber an meinen inneren Gefühlen teilhaben lassen. Aber kann Sprache gleichzeitig Barriere und Befreiung sein? Ja, dieses Paradox ist möglich. Das beweist unser diesjähriger Gewinnerfilm.

Indem er die traditionellen Kategorien von Sprechenden und Zuhörenden auflöst, kann auch das zum Ausdruck kommen, was nicht gesagt werden kann. Ein Brief in einer fremden Sprache wird zum Medium der Verständigung, der zwar unverstanden bleibt und doch ist das Unaussprechliche nun in der Welt. (Foto: © Mengzhu Xue)

Der Film verhandelt unser Verhältnis zu den Menschen, die wir lieben, die wir nicht gehen lassen wollen und denen wir am liebsten alles sagen würden. Aber er zeigt auch, dass der Graben zwischen unterschiedlichen Generationen, Gesellschaftsordnungen und Orten uns daran hindern kann, einander ganz zu verstehen. Dabei zeigt er uns einen kreativen Umgang mit dem Unaussprechlichen und ist ein Plädoyer für eine intensive Beziehung zwischen uns und unseren Nächsten im Hier und Jetzt.

Decryption
Regie:
2023

Erinnerungen verblassen – diese Erfahrung gehört zum Menschsein dazu. Was würden wir dafür geben, könnten wir für einen Moment in die Vergangenheit zurückkehren, um die Erinnerung an für uns wichtige Menschen aufzufrischen. Ein Film aus dem diesjährigen Wettbewerb der Internationalen Kurzfilmtage bringt diese Sehnsucht auf einzigartig haptische Weise ins Bild. Ausgehend von einer persönlichen Geschichte widmet er sich in einschneidenden Szenen einem universal-menschlichen Thema. Wir lesen ihn als eine Möglichkeit, um tiefer einzutauchen in die existentiellen Fragen nach dem anderen im eigenen Selbst, nach der Materialität und den Bedingungen der Erinnerung. Trotz der heilsamen Kraft der vielschichtigen Annäherungsversuche: Ihrer vollständigen Entschlüsselung muss die Erinnerung immer ein Stück weit entzogen bleiben.

Regie:
2023

Im Film The Old Young Crow erinnert sich ein älterer Mann an seine Kindheit, die durch Einsamkeit in einem fremden Land geprägt ist, während er sein altes Skizzenbuch betrachtet. Seine Zeichnungen versetzen ihn zurück auf einen ruhigen Friedhof, wo er Trost fand und in einer entscheidenden Situation einer älteren Frau begegnete, die um ihren Sohn trauerte. Dieser Film verwendet innovative Animationstechniken neben Live-Action. Diese Geschichte erzählt von einem spirituell sensiblen Jungen, der die religiösen Bräuche seiner neuen Heimat verinnerlicht. Durch seine Nähe zum Tod kann er sich mit seinem eigenen Verlust aussöhnen. So entwickelt er ein Gefühl von Heimat und Zugehörigkeit für seine neue Umgebung.

Lulina and the Moon
2023

„Lulina e la lua“ (Lulina and the Moon) begegnet uns als eine wundersame Erzählung über ein Mädchen, das sich – wie viele andere Kinder weltweit – einer großen familiären Herausforderung stellen muss. Wir folgen der kleinen Lulina, die sich mit ihrer gegenwärtigen Lebenssituation auseinandersetzt, indem sie sich mit ihren kraftvollen Zeichnungen eine bunte, parallele Fantasiewelt erschafft. Während sie sich zwischen Wirklichkeit und Fantasiewelt bewegt, entdeckt sie, dass gerade das von ihr geschaffene Fantasiemonster sie in ihrer veränderten Alltagswelt ankommen lassen kann. Der Film besticht durch wunderschöne, kraftvoll gezeichnete Bilder, die Animationen in der Animation (Droste-Effekt) besonders ausdrucksstark visualisieren. Alois Di Leo ist es hervorragend gelungen, Lulinas innere Welt mit allen ihren Ängsten und Wünschen unnachahmlich zum Leben zu erwecken, um sie dann bei sich und ihrer Familie ankommen zu lassen.

Mehr zum Festival

35 Kurzfilme standen auf dem vielfältigen Programm des diesjährigen Kinder- und Jugendwettbewerbs und versuchten, mit verschiedenen Themen, Filmtechniken und Genres das Interesse der jungen ZuschauerInnen zu wecken. Theresia Merz stellt das breite, nach Altersgruppen gegliederte Spektrum der gezeigten Filme vor.