Einleitung zum Thema "iranisches Kino"

Der Artikel erschien in Vu de Pro-Fil Nr. 65 als Einführung zu einem Schwerpunkt « iranisches Kino ». Die Online-Stellung der Revue erfolgt mit sechsmonatiger Verzögerung, also ab Mitte März 2026.

Land aus Tausendundeiner Nacht und persischer Poesie – der Iran hat das Kino zur Kunst der Andeutung gemacht: Wenn das Wort überwacht wird, wird das Bild zum Gedicht, und der Schnitt zur Stilfigur.


In dieses Film-Land tritt man nicht ein, als öffne man eine Tür, sondern wie in einen Ghazal-Band: man folgt leisen Reimen, beredtem Schweigen und Metaphern, die viel sagen. In dieser Geschichte erscheint Abbas Kiarostami als Leitfigur des modernen iranischen Kinos. Seit den 1970er-Jahren und dann nach der Revolution von 1979 etabliert er eine Handschrift: scheinbar einfache Erzählungen, Kinder, Straßen, Hügel; ein atmender Rahmen, der dem Publikum Raum zum Denken lässt. Wo ist das Haus meines Freundes? (1987), Close-Up (1990) oder Der Geschmack der Kirsche (1997) sind nicht nur Filme – sie sind Seh-Methoden. Mit ihm fixiert sich eine iranische Grammatik: die Wirklichkeit als Dekor, die Fiktion als Hypothese, und die Ethik als Wasserzeichen.

Doch im Iran betritt die Politik früh das Bildfeld. Das Kino steht unter der Aufsicht des Ministeriums für Kultur und islamische Orientierung: Drehbücher müssen vorgelegt, Drehs genehmigt, Verleihlizenzen erteilt werden. Zensur ist keine spektakuläre Schere, sondern ein unauslöschlicher Marker, der das Schreiben durchzieht – vom Projekt bis zum Plakat. Man lernt, Liebe durch einen Blick zu sagen (Shirin, Abbas Kiarostami, 2008), Zorn durch eine statische Einstellung (Une séparation, Asghar Farhadi, 2011), Ungehorsam durch eine halboffene Tür (Offside, Jafar Panahi, 2006). Die Filmschaffenden haben eine Virtuosität der Anspielung entwickelt, die Hafis (1315–1390) nicht verleugnet hätte: Wenn man nicht benennen darf, deutet man an; wenn man nicht zeigen kann, erzählt man anders. Die Metapher ist kein Luxus – sie ist ein Überlebenssystem.

Im Zentrum dieser Spannung steht die Frage der Frauen. Vor der Kamera sind die Darstellungsregeln strikt: Hidschab in jeder Situation, auch in fiktiver Intimität; kein Körperkontakt zwischen Schauspielerinnen und Schauspielern; höchste Vorsicht bei sensiblen Themen. Hinter der Kamera haben bedeutende Autorinnen – Rakhshan Bani-Etemad, Forough Farrochzad, Samira Makhmalbaf – dennoch eine Stimme durchgesetzt, die Alltagsleben, Emanzipationswunsch und Würde zusammenbindet. Man könnte einen Teil des iranischen Kinos so zusammenfassen: von Frauen erzählen, deren Wort verhindert wird, und eine Form finden, die es unwiderlegbar macht. Mal ist es eine Großaufnahme, mal eine beredte Abwesenheit; oft ist es eine Montage, die dem Off Raum gibt – dort, wo alles geschieht.

Diese Politik der Form hat eine Konstellation hervorgebracht. Jafar Panahi dreht unter Hausarrest (Dies ist kein Film, 2011; Taxi Teheran, 2015) und verwandelt Zwang in Freiheitsmanifest. Mohsen Makhmalbaf und seine Familie erproben das Kino als Werkstatt und soziales Labor: 1996 gründen sie das Makhmalbaf Film House, um die ihren zu produzieren. Asghar Farhadi kreuzt moralisches Drama und Justizthriller mit der Präzision eines Uhrmachers, wo jede Geste wiegt und die Wahrheit stets einen toten Winkel hat (À propos d’Elly, 2009, Le Passé, 2013, Everybody Knows, 2018). Internationale Festivals erkennen an, adeln, schützen zuweilen – zum Preis eines schwierigen Umlaufs der Werke im eigenen Land. Zwischen Kinosaal und Wohnzimmer, zwischen Erlaubtem und Verbotenem erfindet das iranische Kino Nebenwege: Smartphones, leichte Drehs, ferne Koproduzenten, unendliche List. Ist die offizielle Straße versperrt, nimmt man den poetischen Pfad.

Diese Erfindungskraft kommt aus Notwendigkeit: vom Sprechen in Menschennähe, wenn das öffentliche Wort wankt. Darum halten sich die Filme an bescheidene Gesten: ein verlorenes Heft (Wo ist das Haus meines Freundes?, Kiarostami, 1987), ein angehaltener Wagen (Ten (Kiarostami, 2002), eine Vorladung (Une séparation, Farhadi, 2011), ein Verwaltungsflur Chroniques de Téhéran, Asgari & Khatami, 2023). Heldentum ist nicht spektakulär; es besteht im Ausharren, im Verhandeln, im Nein-Sagen mit der Delikatesse eines Ja. „Einfach machen“ ist keine Bequemlichkeit – es ist eine Kunst.

Diese Tradition findet ein klares Echo in Chroniken von Teheran (Ayeh-haye zamini) von Ali Asgari und Alireza Khatami. Der Film schreitet in Vignetten voran – persische Miniaturen, in denen jede Szene ein Gegenüber mit der bürokratischen Absurdität rahmt: eine Bitte, eine Regel, ein Schalter und die gelassene Beharrlichkeit dessen, der einfach leben will. Die Inszenierung wählt eine sanfte Strenge: statische Einstellungen, klare Bildfelder, Humor ohne Grausamkeit. Man lächelt oft – Widerstands-Humor, Luziditäts-Humor – und spürt unter dem Lachen die Schwere einer Gesellschaft, die mit widersprüchlichen Normen ringt. Das ist kein Pamphlet; es ist eine Poesie des Bürgersinns, in der formale Eleganz zugleich Schutz und Schneide wird.

Das Kleinod hier ist die Genauigkeit: keine Aufblähung, keine Pose, sondern gewogene Worte und aktive Pausen, die dem Denken Luft lassen. So schließt Chroniken von Teheran den Kreis vom Anfang: Im Land aus Tausendundeiner Nacht und persischer Dichtung bleibt das Kino eine Erzähl-Kunst – eine Kunst, die Nacht für Nacht, Szene für Szene die Möglichkeit von Sinn wieder öffnet. Man findet eine alte Weisheit wieder: Wenn die Weltordnung trübe wird, zündet man eine Lampe an. Im Iran hat diese Lampe die Form einer Leinwand. Und wenn sie angeht, werden Gesichter, Stimmen und alltägliche Gesten wieder außergewöhnlich – das heißt: menschlich.

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