Variationen des Fremdseins

Bericht zum 25. Filmfestival Max Ophüls Preis. Von Jurymitglied Christine Stark
Der gläserne Blick

Sylvie Testud in "Der gläserne Blick"

 

Interessant ist das Andere, das Fremde, ja das Fremdsprachige: diese Beobachtung legte das wichtigste Festival des deutschsprachigen Films in diesem Jahr nahe. Zahlreiche Filme kreisten um Geschichten des Fremdseins, der Integration und des Zusammenlebens mehrerer Sprachgruppen.

So zeigt Heimkehr (Damir Lukačević, Deutschland 2003) das brüchige Gewebe einer kroatischen Familie in Stuttgart. Emotionen brechen auf, als sich die Eltern entschliessen, nach der langen Zeit ihrer Erwerbstätigkeit als Gastarbeiter in den Süden heimzukehren. Die in Deutschland aufgewachsenen Söhne und ihr Vater müssen sich neu positionieren. In Wien spielt die Geschichte des Jungen Ozren, dessen Mutter als Prostituierte arbeitet. Er wird im Milieu gross, ohne sich dessen zunächst bewusst zu sein, und buhlt bis zuletzt um die Liebe und Zuwendung seiner Mutter. In Hurensohn (Michael Sturminger, Österreich/Luxemburg 2003) ist es wiederum eine Einwandererfamilie, diesmal aus Bosnien, deren Mitglieder in einem fremden Land leben und zurecht kommen müssen. Und wie ergeht es jungen Menschen, die in die Kriege des auseinanderbrechenden Jugoslawiens verwickelt waren? Yugotripp (Nadya Derado, Deutschland 2003) zeigt einen traumatisierten Mann, der ohne jegliche politische Motivation Opfer und Täter wurde. Sein Leben im scheinbar friedlichen Deutschland wird gestört durch die unverarbeiteten Erinnerungen an Ohnmacht wie Machtrausch.

Diese beispielhaft herausgehobenen Wettbewerbsfilme stehen für die Thematisierung von Fremdheit in ganz unterschiedlichen Situationen. Gemeinsam ist ihnen, dass streckenweise fremde Sprachen genutzt werden müssen – gerade dann entfalten die Figuren Intensität und Glaubhaftigkeit. Das Publikum goutierte diese Szenen, schliesslich gewöhnen sich Sehgewohnheiten schnell an Untertitel, die helfen, unrealistische Dialoge in perfektem oder künstlich gebrochenem Deutsch zu vermeiden.

Vor diesem Hintergrund ist es empörend, dass eines der mutigsten Projekte des Festivals ohne deutsches Förderungsgeld auskommen musste, u.a. weil es von Fernsehanstalten gerade deswegen abgelehnt wurde, weil das Drehbuch zu wenig deutsche Sätze enthielt. Nicht nur dies war ein Grund für die INTERFILM-Jury, den Film Mondlandung von Till Endemann mit einer „Lobenden Erwähnung“ auszuzeichnen. Er bietet Einblick in das Leben einer Aussiedlerfamilie aus Kasachstan, die trotz aller politischen ‚Deutschheit’ russisch spricht und sich nur schwer in ihrer neuen Heimat zurecht findet. Trotz knapper Mittel ist ein intensiver Film gelungen.

Die Fördergelder sprechen leider vorwiegend „deutsh“, vielleicht eine gefährliche Nebenwirkung der Synchronisationssucht im deutschen Kino. 

Eines feinen Tricks bediente sich Markus Heltschl mit seinem Film Der gläserne Blick, der andere Preisträger der Interfilm-Jury. Seine Geschichte zwischen einem Kommissar und einer Verdächtigen ist in Portugal angesiedelt, hat aber eine frankophone Hauptfigur. So finden die Verhöre in gebrochenem Englisch statt, die Privatgeschichten des Ermittlers in Portugiesisch und die Rückblicke über das deutsche Opfer auf Deutsch. Dieses sprachliche Verwirrspiel spiegelt das Thema des Films über Identitäten und die Infragestellung von Wahrheit wieder.

Unter den weiteren Beiträgen fielen Milieuzeichnungen auf, die sich ihrer jeweiligen Story auf hohem schauspielerischen wie filmerischen Niveau annahmen. In November (Luki Frieden, Schweiz 2003) bricht innerhalb eines Monats eine Kleinfamilie auseinander, weil durch einen Lottogewinn zutage tritt, wie unvereinbar die Träume von Mutter, Vater und Tochter sind. Ein Drogenfahnder, Titelfigur in Strähl  (Manuel Flurin Hendry, Schweiz 2003), steckt im Abhängigkeitssumpf, sei es als Workaholic, sei es durch Tablettensucht. Er beherrscht sein Revier in der Züricher Langstrasse nicht mehr und rutscht immer weiter ab. Zuletzt sei noch der Film Nachbarinnen (Franziska Meletzky, Deutschland 2003) erwähnt, eine Geschichte um eine allein lebende Frau, die in ihren Zwängen gefangen vor sich hin lebt, bis eine polnische Nachbarin auf der Flucht vor der Polizei bei ihr Unterschlupf findet. Kammerspielartig dicht entwickelt sich die wechselvolle Beziehung der beiden Frauen.

Gerade die kleinen Geschichten waren es, die in Saarbrücken die Interfilm-Jury beeindruckt haben: Variationen von Andersheit.