Die langen Ferien des Sohrab Shahid Saless

Annäherungen an ein Leben und Werk. Von Behrang Samsami

Sohrab Shahid Saless: Yek ettefaghe sadeh (Ein einfaches Ereignis, Iran 1973), Otto-Dibelius-Filmpreis Berlin 1974


Der Autor stellt seine dreibändige Publikation zu Leben und Werk des iranischen Filmemachers Sohrab Shahid Saless vor.

Sohrab Shahid Saless – der Name des iranischen Autorenfilmers steht für eine Art „Slow Cinema“, die gleich zu Beginn seiner Karriere eine große Resonanz gerade im Ausland erfuhr. So zeichnete INTERFILM Saless mehrfach aus: Bei der Berlinale 1974 erhielten seine beiden im Iran produzierten Spielfilme Yek ettefaghe sadeh (Ein einfaches Ereignis, 1973) den INTERFILM-Preis und Tabiate bijan (Stilleben, 1974) den Otto-Dibelius-Preis der Evangelischen Jury. Ausgezeichnet wurden auch seine nächsten, in West-Berlin gedrehten Spielfilme: Während In der Fremde 1975 bei der Berlinale eine Empfehlung von INTERFILM erhielt, wurde Reifezeit ein Jahr später beim Festival in Locarno von der Ökumenischen Jury mit einer Lobenden Erwähnung bedacht.

Das filmische Werk, das Sohrab Shahid Saless (1944–1998) zwischen 1973 und 1991 geschaffen hat, trägt eine eigene, unverkennbare Handschrift. In ruhigen, langsamen Einstellungen fängt er Lebens- und Arbeitswelten ein, die nur auf den ersten Blick banal und bedeutungslos wirken. Es geht um den Alltag zumeist von Außenseitern, die leiden, in ihrer Mehrzahl dafür aber keinen Ausdruck finden können: früh gealterte, stille Kinder; von Mühsal ausgezehrte ältere Menschen; einsame, isolierte „Gastarbeiter“ und Geflüchtete; psychisch kranke Mörder; sadistische Zuhälter und ausgebeutete Prostituierte; in der NS-Zeit wegen ihrer jüdischen Herkunft verfolgte Bürger; traumatisierte, in sich gefangene Hausfrauen.

Saless’ Filme beleuchten „abseitige“ Lebens- und Arbeitsverhältnisse primär im Iran der Schah-Zeit und in der Bundesrepublik der 1970er- und 1980er-Jahre. Mit zäher Geduld und einem „kalten Blick“, den er von seinem Vorbild, dem russischen Schriftsteller Anton Tschechow, übernommen hat, beobachtet Saless seine Figuren und die Bedingungen, unter denen sie im Zeitalter der Moderne agieren. Vereinzelung und Sprachlosigkeit, Ohnmacht und Ausweglosigkeit, Gewalt und (Selbst-)Hass werden schonungslos offengelegt.

Blickt man auf die Rezeption von Saless’ Leben und Werk, fällt indes eine Schräglage auf: Während er in seinem Geburtsland Iran als Künstler von vielen geschätzt wird, ist er in seiner deutschen Exilheimat, in der er zwischen 1974 und 1995 mit Unterbrechungen lebte, nur (noch) wenigen bekannt. Trotz seiner 13 in der Bundesrepublik produzierten Spiel- und Dokumentarfilme ist Saless, der auch später vielfach mit Preisen ausgezeichnet wurde, etwa für Tagebuch eines Liebenden (1977) und Grabbes letzter Sommer (1980), Utopia (1983) und Rosen für Afrika (1991), nach wie vor der große Unbekannte des Neuen Deutschen Films.

Die Trilogie Die langen Ferien des Sohrab Shahid Saless hat es sich zum Ziel gemacht, der Schräglage in der Rezeption entgegenzuwirken. Mit ihr liegt die erste umfassende Darstellung von Leben und Werk dieses Künstlers in deutscher Sprache vor, der – zumal in der Zeit des Kalten Krieges – immer wieder sprachliche, kulturelle und politische Grenzen überschritt. Die Annäherung an Saless erfolgt in Form einer umfangreichen Biografie (Band 1), mittels Analysen seiner seit 1973 im Iran, in der Bundesrepublik und Tschechoslowakei entstandenen Spiel- und Dokumentarfilme (Band 2), anhand von Interviews mit Weggefährten über Saless sowie mithilfe ausgewählter Selbstzeugnisse, etwa von Briefen und Filmentwürfen (Band 3).

 

Buchinformationen
Behrang Samsami
Die langen Ferien des Sohrab Shahid Saless
Annäherungen an ein Leben und Werk
Exil Verlag, Frankfurt am Main, 3 Bände, 1500 Seiten
Mit zahlreichen Abbildungen, Softcover
ISBN 978-3-9801652-3-5
EUR 99,00
Erscheinungstermin: Ende September 2023