Zwischen Schuld und Hoffnung auf Vergebung

Festivalbericht von Natalie Fritz, Mitglied der Ökmenischen Jury

Das Wettbewerbsprogramm der 25. Festivalausgabe in Fribourg entführte das Publikum zwar an exotische Schauplätze und gewährte kurze Einblicke in fremde Traditionen, dennoch wurde eines ganz deutlich: Gefühle wie Angst, Hoffnung oder Trauer sind Konstanten des menschlichen Lebens – ob in Asien, Europa oder Südamerika.

Wie ein roter Faden zog sich die Frage nach Schuld und Vergebung durch einen Grossteil der zwölf Filme im Internationalen Wettbewerb. Keine einfache Angelegenheit für die fünf Jurys, sich in diesem Ozean der grossen Gefühle nicht zu verlieren und letztlich eine gerechte Entscheidung zu treffen.

In „Sin Retorno“, einem argentinisch-spanischen Thriller von Miguel Cohan, versucht sich ein junger Mann mithilfe seiner Familie der gerechten Strafe für die begangene Fahrerflucht mit Todesfolge zu entziehen. Als während der Ermittlungen plötzlich ein Unschuldiger ins Visier der Polizei gerät, entwickelt sich das emotionale Dilemma des Unfallverursachers zum veritablen Inferno.

Innovativ, eindringlich und ohne Tamtam

In der innovativen Doku-Fiction „Fix Me“ des Palästinensers Raed Andoni begibt sich der Filmemacher in Psychotherapie und versucht dabei nicht nur seine eigene, sondern auch die ‚Seele’ der Palästinenser, einem Volk, hin und hergerissen zwischen Schuld, Hoffnung und Desillusion, zu ergründen. Das breite Spektrum unterschiedlicher Meinungen und Erfahrungen eröffnet dem Zuschauer Einblicke in einen Kosmos, über den jeder spricht, aber den niemand wirklich kennt. Obwohl Andoni konsequent aus einer palästinensischen Sicht filmt, wirkt die Dokumentation keineswegs einseitig, da er nicht wertet, sondern die Situation im umkämpften Gebiet und sich selbst immer wieder hinterfragt. Für einmal wird in diesem Kontext die Schuldfrage zur Nebensache und das individuelle Befinden der Betroffenen fokussiert.

Die iranische Regisseurin Sepideh Farsi schildert in „La Maison sous l'Eau“ die Geschichte von Morteza, einem ehemaligen Häftling, der sich – obwohl unschuldig – zu einem Kindsmord bekennt, um ein früheres Unglück zu sühnen, in betörend melancholischen Bildern und mit ausgezeichneten Schauspielern. Kino, das auf Spezialeffekte und Tamtam getrost verzichtet und dennoch – oder genau deshalb – tief berührt.

Genauso poetisch und nicht weniger eindringlich erzählt der Südkoreaner Lee Chang-dong in „Poetry“ den stillen Kampf der zarten und feinsinnigen Mija, die – trotz beginnendem Alzheimer – nicht vergessen kann, das der ihr anvertraute Enkel für den Suizid eines jungen Mädchens mitverantwortlich ist. Die alte Dame bringt zum Zwecke der Gerechtigkeit ein grosses persönliches Opfer und versucht gleichzeitig mit der Kraft der Poesie die Würde der Toten wiederherzustellen. Die sanfte Entschlossenheit, mit der Mija in „Poetry“ dem geschehenen Unrecht entgegentritt, ist sowohl effektiv als auch geprägt von einer Hoffnung auf Vergebung. Dieses eindrückliche Werk wurde mit dem Großen Preis der Internationalen Jury, dem Regard d’or, ausgezeichnet.

„Los Colores de la Montaña“ – Hoffnung in düsterster Lage

Ein Funke Hoffnung in einer scheinbar ausweglosen Situation glimmt auch in „Los Colores de la Montaña“, dem ersten Spielfilm des kolumbianischen Filmemachers Carlos César Arbeláez. Aus der Perspektive des kleinen Bergbauernjungen Manuel erzählt der Film eine Geschichte über Freundschaft, Unterdrückung und den Wunsch nach Normalität inmitten eines absurden Kriegs. Aufgerieben zwischen Guerillas und Paramilitärs sehen sich die eingeschüchterten Familien allmählich dazu gezwungen, ihre Heimat, ihren Grund und Boden zu verlassen. Eine couragierte Lehrerin setzt sich gemeinsam mit den Kindern dafür ein, die Dorfschule zu einem Ort des friedlichen Widerstandes zu erheben und dem Leben in den Bergen seine ursprüngliche Farbe zurückzugeben. Auf dem Weg in eine (hoffentlich) sicherere Zukunft erlangt Manuels Geburtstagsgeschenk, ein Fussball, weit grössere Bedeutung als manch ein Erwachsener sich vorstellen kann.

Die behutsame Kameraführung vermittelt die bäuerliche Lebenssituation in der faszinierenden kolumbianischen Bergwelt in grossartigen Bildern, ohne dabei je ins Kitschige abzugleiten. Der beinahe dokumentarische Habitus der Erzählweise verankert die Geschichte nachhaltig in der Realität. Gekonnt macht Arbeláez sichtbar, dass Menschen, die sich entschlossen für die Freiheit anderer einsetzen, ihre Träume nicht verraten und sich friedlich der Gewalt entgegenstellen. Solche Menschen vermögen auch in der düstersten Lage Hoffnung zu säen. Diese gewichtige Aussage hat die Ökumenische Jury letztlich davon überzeugt, den diesjährigen Preis an „Los Colores de la Montaña“ zu verleihen. Die neunjährige Produktionszeit hatte sich gleich doppelt gelohnt: Zusätzlich zum ökumenischen Preis gewann Regisseur Arbeláez’ Film die, laut dem scheidenden Festivaldirektor Edouard Waintrop, wichtigste Auszeichnung, den Publikumspreis.

Der filmische Brückenschlag zwischen unterschiedlichen Kulturen ist dem Internationalen Filmfestival Fribourg auch im 25. Jahr auf und neben der Bühne eindrucksvoll gelungen.