No Hope in Wittenberge

Eindrücke vom Berliner Filmfestival

Wenn sich eine ökumenische Jury am Ende eines Filmfestivals zur abschließenden Beratung trifft, stellt sie sich zu jedem preisverdächtigen Film die immer gleiche Frage. Die lautet im festivalüblichen Englisch:  Is there any hope in it? Filme ohne Hoffnungsschimmer können von einer christlichen Jury kaum ausgezeichnet werden. Dennoch waren es bei der diesjährigen Berlinale für mich gerade „No hope“- Filme, die mir die Augen öffneten.  Die oft beschworene politische Relevanz des Berliner Festivals zeigte sich weniger in den gut gemeinten Geschichtsstreifen über vergangene und gegenwärtige Kriegsschauplätze. Viel mehr unter die Haut gingen scheinbar unpolitische Filme, die auf verstörende Weise sichtbar machten, wie heute noch das Persönlichste von der Ökonomie zersetzt wird.

Der serbische Film „Klopka“ zum Beispiel erzählt von einem redlichen Mann, der in die Fänge der Belgrader Mafia gerät, weil er dringend Geld für die Herzoperation seines Sohnes braucht. Zunächst versucht er, auf ehrliche Weise einen Kredit bei der Bank zu bekommen. Lächelnd erklärt ihm der Angestellte, das sei in seinem Fall unmöglich. „Was gibt es da zu lächeln?“ fragt der verzweifelte Vater. „Wenn mein Chef sieht, dass ich nicht lächle, werde ich entlassen,“ sagt der Angestellte. Die Kamera schwenkt durch den Raum: An jedem Schalter sitzt ein dauerlächelnder Dienstleister. Ja, man wusste es schon, dass in unsern Zeiten auch das Lächeln im Dienste des Geschäfts steht. Aber plötzlich wird deutlich, unter welchem Zwang es aufgesetzt wird. Ist es schlimm, wenn menschliche Gesten zum Nutzen des Kapitals berechnet und berechnend werden? Muss es uns aufregen, dass die Psychologie, zu deutsch: Seelenkunde,  heute vor allem der Geldvermehrung dient? 

Der unheimlichste Film des Festivals, „Yella“ von Christian Petzold legt nah: Ja. Dieser alltägliche, leise Selbstverlust unter dem Diktat der Ökonomie ist der blanke Horror. Es gibt kein Entrinnen. Wir entgleiten uns - diesseits und jenseits der Elbe. Irgendwann muss es eine Zeit gegeben haben, in der das Leben in Wittenberge für die schöne Yella (Nina Hoss) noch eine klare Kontur hatte:  mit einem liebevollen Vater, einem jungenhaft eifrigen Ehemann und der Hoffnung, gemeinsam eine eigene Firma auf die Beine zu stellen. Aber schon nach einem Jahr ist die Firma bankrott, die Ehe zerrüttet. Yella hat den Durchblick, der ihrem Mann Ben fehlt. Sie will jenseits der Elbe in Hannover neu anfangen. Sie weiß: So naiv zapplig und unbeholfen wie Ben sich über Wasser zu halten versucht, läuft es nicht. In Hannover gibt es andere Männer, die verstehen sich aufs Management, den Verhandlungspoker, die geschönten Bilanzen. Dort trifft Yella  den Partner, der erwachsener wirkt als Ben. Er zeigt ihr die nötigen Posen. An den Verhandlungstischen des Venture Kapitals geht es nicht ums verbindliche Lächeln, sondern um gekonnte Drohgebärden. Nicht um reale Zahlen, sondern um raffinierte Manöver. Es gehört dazu, dass jeder ein bisschen betrügt. Es kann ja jeder auch in den gläsernen Büros auf dem Expogelände in Hannover von heute auf morgen baden gehen. Yella  hält sich gut in den beinharten Verhandlungen, wo das große Geld gemacht und verspielt wird. Und dennoch ist es,  als irre sie durch einen Albtraum. Die Idee, mit den Methoden von Hannover das Leben in Wittenberge zu retten – ein Wahn. „Sehr deutsch“ nannte ein  Mitglied der ökumenischen Jurv diesen Film. Das ist er wohl auch, im guten Sinn. Jedenfalls sehr durchdacht und vielleicht nur denen vollkommen einsichtig, die Orte wie Wittenberge und  Hannover, vor allem aber die Elbe als Symbole spontan verstehen können.

There was no hope in „Yella“. Der Film konnte den Preis der ökumenischen Jury nicht gewinnen. Sie entschied sich wie die große Berlinale-Jury für „Tuyas Hochzeit“, einen starken, schönen Erzählfilm, der davon handelt, dass die Menschen in der inneren Mongolei bei allen Härten ihres Lebens doch zusammenhalten. Hoffnung muss sein – wenigstens im Kino, wenigstens in der Mongolei.