Grußwort zum Ökumenischen Empfang der Kirchen beim Filmfestival Mannheim-Heidelberg 2006

Sehr verehrte Damen und Herren, liebe Gäste,

ich begrüße Sie herzlich im Namen von SIGNIS, der Katholischen Weltorganisation für Kommunikation, und von INTERFILM, der Internationalen kirchlichen Filmorganisation, die beide seit 1995 die Ökumenische Jury des Festivals tragen. Das Engagement der beiden kirchlichen Filmorganisationen reicht bis ins Jahr 1963 zurück, als erstmals ein evangelischer und ein katholischer Filmpreis bei der Internationalen Filmwoche Mannheim, wie das Festival damals hieß, verliehen wurden. Ich bedanke mich herzlich für die langjährige Gastfreundschaft, die das Festival den Kirchen gewährt und gewährt hat.

Sie ruht auf einem soliden Fundament. Wenn das Festival in diesem Jahr Aleksandr Sokurov als Master of Cinema auszeichnet und den verstorbenen Krzysztof Kieslowski mit einer Hommage ehrt, so ruft sie zwei Filmkünstler in Erinnerung, die in ihren Werken immer wieder die Beziehung zwischen Glauben und Gegenwartswelt thematisiert haben. Mehr noch, die Besonderheit ihres filmischen Universums, die Eigenart des Blicks, den wir mit ihren Filmen auf Menschen, Ereignisse, Geschichten und Weltzustände richten, beruht auf der Verbindung von Transzendenz und Immanenz, die in ihren Filmen Gestalt gewinnt. Ich freue mich sehr darüber, dass das Festival mit diesen beiden Ehrungen die Aufmerksamkeit auf  eine entscheidende, produktive Tiefendimension von Film und Kino lenkt, und verstehe sie auch als Anspruch an die Werke jener jungen Filmautoren und -autorinnen, denen der internationale Wettbewerb des Festivals gewidmet ist. An seinen ästhetischen Ansprüchen und Maßstäben hat das Festival jedenfalls nie einen Zweifel gelassen. Sie gewährleisten für die Ökumenische Jury, deren Preis Filmen von herausragender ästhetischer, ethischer und spiritueller Qualität gilt, ein reiches Feld.

In unserer Kinokultur gilt Anspruch tendenziell als geschäftsschädigend. Ich möchte deshalb Anspruch als Stichwort für einen kleinen kulturpolitischen Exkurs benutzen, bei dem ich mir Überlegungen leihe, die Peter Sloterdijk jüngst in seinem Buch „Zorn und Zeit“ entwickelt hat. Zum Glück darf man sich ja auf dem Filmfestival Mannheim-Heidelberg, bei dem Peter Sloterdijk vor Jahren einen mir unvergesslichen Vortrag über „Kino und Atem“ gehalten hat, gewisse intellektuelle Abschweifungen erlauben. Ich möchte daran erinnern, dass die in letzter Zeit häufig beschworene „Wiederkehr der Religion“ nicht nur eine Korrektur im Selbstverständnis einer säkularen, ihre eigenen Grundlagen verkennenden Gesellschaft bedeutet, sondern auch ein Gefühl der Beklommenheit auslöst. Dieses Unbehagen bezieht sich auf den Konflikt zwischen der Unbedingtheit, die die Religionen fordern, und den individuellen Freiheiten, an die sich die Angehörigen der westlichen Kultur gewöhnt haben. Es zeigt sich darin, dass die Religionen keineswegs Agenturen zur Steigerung des Wohlbefindens sind, die wir gelegentlich zur Ergänzung psychotherapeutischer Übungen brauchen können.

Ich finde es sehr treffend, dass Sloterdijk den Konflikt zwischen dem Westen und dem Islam als Zusammenprall zwischen einer „überentspannten“, erotisierten Kultur der Verwöhnung und einer Kultur ehrgeiziger Selbststeigerung beschreibt, in Schlagworten: zwischen Bequemlichkeit und Stolz. Wir haben uns, so offenbart dieser Kontrast, zu sehr in Entwertung und Gleichgültigkeit geübt. Unser psychokulturelles Klima kann ein Mehr an Rang- und Formbewusstsein, an Ehrgeiz und Stil, an Disziplin und Unbedingtheit gut gebrauchen. Mit einer Überblendung auf das Festival behaupte ich, dass wir dringend Orte brauchen, die Ansprüche und Anstrengungen verlangen – gewissermaßen kulturelle Trainingszentren, die unser Selbstgefühl, unser Begeisterungsvermögen, ja unsere Widerstandskräfte stärken und erweitern. Film als Unterhaltungsware kann solche enthusiastischen Empfindungen nicht wecken. Selbst an der Kinokasse macht sich allmählich bemerkbar, dass Unterhaltung allein auf Dauer nur ermüdet. Ich bin sicher, dass das Festival ein Ort enthusiastischer Erfahrungen bleibt, an dem eine kirchliche Filmjury gut aufgehoben ist, und danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.