Große Vielfalt beim jungen deutschsprachigen Film

Das 38. Filmfestival Max Ophüls Preis in Saarbrücken – Bericht von Gerhard Alt
Vanatoare

Preis der Ökumenischen Jury: "Vanatoare"


Weniger private Innenansichten als in den Jahren zuvor, dafür mehr gesellschaftspolitische Realität und eine Vielfalt der Filmthemen und -sprachen haben die Jungfilmer beim 38. Filmfestival Max Ophüls Preis in Saarbrücken gezeigt. Zu dem wichtigsten Nachwuchswettbewerb für den deutschsprachigen Film wurden 16 Beiträge im Langfilmwettbewerb eingereicht: zehn aus Deutschland und drei aus der Schweiz und Österreich, darunter auch internationale Koproduktionen. Mehr Filme denn je stammten von Frauen – Ausdruck des gestiegenen Frauenanteils an den Filmhochschulen. Den mit 2500 Euro dotierten Preis der Ökumenischen Jury (Gerhard Alt, Deutschland; Oliver Gross, Österreich, Magda Hermans, Belgien; Wolf-Dieter Scheid, Deutschland) gewann der Film"Vanatoare", der erste Spielfilm der rumänischstämmigen Alexandra Balteanu, die an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin (dffb) studiert. Sie wurde auch mit dem Preis der saarländischen Ministerpräsidentin für die beste Regie ausgezeichnet. Der Max-Ophüls-Preis 2017 ging an die österreichische Filmemacherin Monja Art für „Siebzehn“. Darüber hinaus wurden weitere Preise und Preisgelder in Höhe von insgesamt über 110.000 Euro für mittellange Filme, Dokumentarfilme und Kurzfilme vergeben. Erstmals wurde das Festival von Svenja Böttger geleitet, Programmkurator war wie in den Vorjahren Oliver Baumgarten. Nach Angaben der Festivalleitung ist das Publikumsinteresse nach wie vor groß: Rund 42.000 Besuchern kamen zu den Vorstellungen und Veranstaltungen, 1.200 Fachbesucher waren akkreditiert. 

 

Der Preis der Ökumenischen Jury für „Vanatoare“

Bei der Preisverleihung verlas Oliver Groß, Präsident der Ökumenischen Jury, die folgende Begründung: „Der Film zeigt in realistischen Bildern den von Armut geprägten Alltag dreier Frauen in Rumänien. Sie verkaufen ihre Körper, um es irgendwann einmal besser zu haben. Dies geschieht nicht mit voyeuristischem Blick (die Kamera weidet sich nicht am Objekt), sondern mit einem Blick, der eine fremde Welt aufschließt und sinnenfällig macht. Mit sparsamen Mitteln, langen Kameraeinstellungen, einem eindringlichen Sounddesign und einer konzentrierten Handlung ist ein Film entstanden, der die Zuschauer nicht unberührt lässt. Es ist kein schöner Film, aber ein starker Film.“

Die junge Regisseurin hat „Vanataore“ in nur elf Tagen mit einem Minibudget von 9000 Euro gedreht. (Mehr zum Film: http://www.max-ophuels-preis.de/film_abc_detail/movie-58651debc37a5). „Vanatoare“ (rumänisch für „Jagd“) ist ein ungewöhnlich eindringlicher Film, der in 75 Minuten verständlich und erlebbar macht, was Armut und Ausgeliefertsein bedeuten kann. Insofern vermittelt er in besonderer, unerwarteter Weise neues Wissen über Zustände wie Armut, Prostitution und Korruption - selbst für Zuschauer, die darüber bereits Bescheid zu wissen glauben. Es ist ein in mehrfacher Hinsicht mutiger Film.

 

Max-Ophüls-Preis 2017 für „Siebzehn“

Der mit 36.000 Euro dotierten Max-Ophüls-Preis ging wie im Vorjahr an eine Produktion aus Österreich. Die mit dem Produzenten Florian Koerner von Gustorf, der Editorin Karina Ressler, dem Regisseur und Vorjahressieger Stephan Richter, der Schauspielerin Andrea Sawatzki und dem Regisseur Sven Taddicken besetzte Jury zeichnete damit „Siebzehn“ der 34jährigen Monja Art aus. Ihr Film zeigt den Alltag heranwachsender Mädchen im ländlichen Niederösterreich. Dort scheint die Zeit stehen geblieben zu sein, was die Ausstattung des Films anschaulich macht. Die Kommunikation mit Handys deutet die Gegenwärtigkeit an, das Interieur des Elternhauses der Protagonistin und das Ambiente des Internats strahlen indessen den zweifelhaften Charme der letzten Jahrzehnte des vorigen Jahrhunderts aus. Die handelnden Personen, 17 Jahre alt, auf der Suche nach ihrem Platz in der Welt sind keineswegs sicher, ihre angestammte Heimat je zu verlassen. Der Film kommt ohne Festlegungen auf besser und schlechter aus, zeigt die Vagheit der Beziehungen und deutet Chancen auch nur an, behält aber eine liebenswerte Grundstimmung. Sicher ist für die jungen Leute gar nichts, aber es gibt Anlass, optimistisch nach vorne zu schauen.

 

Weitere Preisträger im Spielfilmwettbewerb

Der Preis für den gesellschaftlich relevanten Film ging an die deutsche Produktion „Club Europa“ von Franziska M. Hoenisch. Der Film ist ein verdichtetes Kammerspiel, Schauplatz eine Wohngemeinschaft in einem Berliner Altbau. Er zeichnet das Bild einer Generation, die zugleich selbst- und verantwortungsbewusst, aber auch oberflächlich ist. Die jungen Leute nehmen einen afrikanischen Flüchtling bei sich auf. Man schätzt sich gegenseitig. Doch als der Flüchtling nicht als Asylbewerber anerkannt wird, kommt es zum Konflikt mit eigenen (berechtigten) Interessen. Fast nebenbei klärt der Film über die genaue Rechtslage auf. Er wertet nicht und kommt fast ohne Klischees aus. 

„Die Reste meines Lebens“ von Jens Wischnewski erhielt sowohl den Preis der Schülerjury als auch den Preis für das beste Drehbuch. Der Film erzählt mit Wärme und Humor die Geschichte eine Mannes, der durch ein Unglück seine schwangere Frau verliert, sich bald neu verliebt und immer wieder von der Erinnerung bzw. den Resten seines früheren Lebens eingeholt wird. Die Geschichte ist gut und schlüssig erzählt, geht erfrischend anders als gewohnt mit dem Thema Trauer um. Die Frage der Glaubwürdigkeit stellt sich dennoch.

Die Festivalbesucher stimmten ebenfalls ab und erkannte den Publikumspreis der österreichischen Komödie „Die Migrantigen“ von Arman T. Riahi zu. Das ist eine skurrile Geschichte von zwei urigen Typen im Wiener Vorstadtviertel Rudolfsgrund mit (mehr oder weniger) Migrationshintergrund, die für eine Fernsehreihe immer neue scheinbar dokumentarische Storys erfinden und weiter erzählen. Heraus kommt ein komisches, subversives Spiel mit Fakten, Klischees und Vorurteilen. Und nicht zuletzt wird vorgeführt, wie „Fake News“ funktionieren. Frei nach André Heller: „Die Lüge ist wahrer als die Wahrheit, weil die Wahrheit so verlogen ist.“

 

Weitere Preisvergaben

Die Max-Ophüls-Preis-Jury vergab außerdem die Preise für die beste Nachwuchsdarstellerin und den besten Nachwuchsdarsteller. Diese gingen an Elisabeth Wabitsch  für ihre Hauptrolle in dem mit dem Ophüls-Preis ausgezeichneten Spielfilm „Siebzehn“, und an Leonard Kunz für seine Rolle in dem (30-minütigen) Kurzfilm „Jenny“ von Lea Becker.

Als bester Dokumentarfilm wurde „Ohne diese Welt“ von Nora Fingscheidt gekürt, das Porträt einer 700 Mitglieder umfassenden Gemeinde von Mennoniten mit deutschen Wurzeln in Argentinien. Den Preis für die beste Filmmusik im Dokumentarfilm erhielten Trixa Arnold und Ilja Komarov für die Musik zu „Zaunkönig – Tagebuch einer Freundschaft“.


Ein kleines poetisches Meisterwerk und wegen seines Spiels mit Weisen der Weltkonstruktion ein Fest für Philosophen ist der österreichische Film „Wald der Echos“ von Maria Luz Olivares Capelle, der mit dem Preis für den besten Mittellangen Film ausgezeichnet wurde. Hier vergab das Publikum seinen Preis an „La femme et le TGV“ des Schweizers Timo von Gunten. Dieser Film ist auch für den Oscar nominiert; die Nachricht erhielt der junge Regisseur, der übrigens auch im Langfilmwettbewerb in Saarbrücken antrat, während des Festivals.

Im Kurzfilmwettbewerb siegten deutsche Produktionen: Als bester Kurzfilm „Die Überstellung“ von Michael Grudsky und mit dem Publikumspreis „Cigarbox Blues“ von Christopher Kaufmann.   

 

Gute Filme ohne Preisausbeute

Es mag an der Vielfalt der Themen und der Verschiedenheit der künstlerischen Umsetzung gelegen haben, dass im Langspielfilmwettbewerb einige herausragende Filme nicht mit Preisen bedacht worden. Dazu gehört die deutsch-schweizerische Koproduktion „Marija“ von Michael Koch. Der von vielen Besuchern als Favorit auf den Ophüls-Preis gehandelte Film erzählt die Geschichte einer jungen Ukrainerin in der Schweiz, die trotz widriger Umstände und schlimmer Erfahrungen an ihrem Lebenstraum festhält und ihn sich auch in gewisser Hinsicht realisiert.

Zu den am meisten diskutierten Filmen gehörte „Die Liebhaberin“ (Österreich, Korea, Argentinien) von Lukas Valenta Rinner. Der Film kontrastiert in eindrücklichen Cinemascope-Bildern quasi allegorisch eine hochgerüstete, mit Elektrozäunen abgeschirmte Oberschicht mit der Nacktheit eines Nudistencamps.  

In ungewöhnlich kleinem Format hat die junge Deutsche Joya Thome den wunderbaren Kinderfilm „Königin von Niendorf“ gedreht, der besonders wegen seiner atmosphärischen Dichte und des natürlichen, aber auch sehr gut geführten Spiels der Kinderdarsteller zu gefallen weiß. Ebenfalls sehr gute jugendliche Darsteller hat der traurigste Film im Wettbewerb: „Die Körper der Astronauten“ von Alisa Berger, eine deutsche Produktion, in der Wunschvorstellungen mit dem tristen Alltag kollidieren. Eher ein Filmessay, der vom ganz Großen des Weltalls bis zum ganz Kleinen der zufälligen Erfahrung reicht, ist „Le Voyageur“ des bereits erwähnten Schweizers Timo von Gunten: Eine Hommage ans Leben im Umgang mit der Trauer um einen geliebten Verstorbenen.

Ebenfalls um eine existentielle Erfahrung geht es in dem deutschen Wettbewerbsbeitrag „Jetzt.Nicht.“ von Julia Keller. Darin wird ein gut situierter Marketingfachmann überraschend aus der Bahn geworfen. Die Offenheit der Situation mit ihren Hindernissen und Chancen wird glaubhaft und durchaus spannend in Szene gesetzt. Von nicht erfüllten Erwartungen ans Leben und entlarvten Versprechungen handelt die deutsche Produktion „Einmal Bitte alles“ von Helena Hufnagel. Auf andere Weise sucht die Streunerin in dem Schweizer Film „Skizzen von Lou“ von Lisa Blatter ihren Weg im Leben, erfahrend, dass sie vor der eigenen Vergangenheit ebenso wenig davon laufen kann wie in eine völlig offene Zukunft. Mütter-Tochtergeschichten inklusive Schwangerschaften verknüpft die deutsche Regisseurin Julia Ziesche in „Wann endlich küsst Du mich“ auf unterhaltsame Weise.

Schließlich erlebten noch zwei weitere deutsche Produktionen ihre Uraufführung beim Filmfestival Max Ophüls Preis: „Rakete Perelman“ von Oliver Alaluukas und „Straßenkaiser“ von Florian Peters. Während jener eine mit allerlei Beziehungsstress behafteten Künstlerkommune auf dem brandenburgischen Land porträtiert, bemüht sich dieser um ein stimmiges Bild einer Halbwelt-Community in der Metropole Berlin – allerdings etwas zu bemüht subkulturell.