Golden Apricot – eine Insel der Gastfreundlichkeit

Bericht zum 13. Filmfestival "Golden Apricot" in Jerewan

Regisseur Seyed Hadi Mohaghegh und Anita Uzulniece bei der Preisverleihung


Als Mitglied der Ökumenischen Jury am 13. Internationale Filmfestival Golden Apricot in Jerewan (10.-17. July 2016) habe ich etwas Neues und Schönes auf der grossen Weltfestivalkarte entdeckt - eine echte Insel der Gastfreundlichkeit. Das Festival war ausgezeichnet organisiert, bot ein sehr vielseitiges, interessantes Filmprogramm, eine wunderbare Betreuung und für Filmautoren, Juroren und andere Gäste viele Begegnungs- und Diskussionsmöglichkeiten und Empfänge zum Kennenlernen und Feiern. Dabei war jeweils auch der Festivaldirektor, Filmregisseur Harutyun Khachatryan, der jeden persönlich begrüsste.

Im Zeichen des 25. Jahrestages der Unabhängigkeit

Das Festival war dem 25. Jahrestag der Unabhängigkeit Armeniens gewidmet und wurde mit einem Runden Tisch über die heutige Situation im armenischen Film und dem armenischen Stummfilmklassiker “Zare” von Hamo Beknazaryan (1926), dem Begründer des armenischen Kinos, eröffnet. In diesem Zusammenhang programmierte das Festival zahlreiche interessante und gute armenische Filme, von denen die Dokumentarfilme die vergangenen Dekaden der Unabhängigkeit am besten wiederspiegeln.

Neben drei Wettbewerbssektionen (Internationaler Spielfilmwettbewerb, Internationaler Dokumentarfilmwettbewerb, Armenisches Panorama) programmierte es Filme in zahlreichen weiteren Sektionen, darunter eine umfangreiche Retrospektive der Filme von Želimir Žilnik, der auch eine Master Class geleitet hat. Als Ehrengast wurde die französische Schauspielerin Jacqueline Bisset mit einem Parajanov-Taler  ausgezeichnet. Der diesjährige “Let There Be Light”-Preis wurde an den ukrainischem Regisseur Roman Balayan, einen Schüler von Sergej Parajanov, wie gewohnt im Rahmen einer feierlichen Zeremonie im Gevorkian Theological Seminary of Holy Etchmiadzin vergeben. Speziell geehrt wurde anlässlich seines 70. Geburtstages auch der bekannte Filmemacher Ruben Gevorgyants mit der Vorführung seines Films “Autumn of the Magician” (2008), in dessen Mittelpunkt Tonino Guerra, der Freund des Regisseurs, steht. Seine Frau hat armenische Wurzeln und Guerra erzählte, dass kein anderes Land ihn so beeinflusst hätte wie Armenien. Da Tonino Guerra auch mit vielen Großen der Filmgeschichte gearbeitet hat (Fellini, Antonioni, Tarkovskij), wurde die Vorführung auch zu einer wunderbaren Hommage an diese großen Regisseure der Filmgeschichte.

Eine glänzende Idee des Festivals war auch die Art und Weise, wie es die Mitglieder der Jurys in die Gestaltung des Programms eingebunden hat: Pierre Leon von der Spielfilmjury hat das French New Cinema vorgestellt, Jesper Andesen von der Armenien Panorama Jury das Danish New Cinema, Fred Kelemen, ebenfalls von der Spielfilmjury, hat eine Retrospektive seiner Filme gezeigt und eine Master Class gegeben. Hamayoun Ershadi, der Hauptdarsteller aus Abbas Kiarostamis Film “Taste of Cherry” (Palme d’Or, Cannes 1997) hat ebenfalls eine Master Class geleitet und an der Vorführung des Films teilgenommen.

Für die FIPRESCI-Jury und die Ökumenische Jury pflegt das Festival nach seinen eigenen Kriterien ein besonderes Sichtungsprogramm zusammenzustellen, bestehend aus einer Auswahl von Filmen des internationalen Spielwettbewerbs und einer Auswahl aus der nationalen Sektion „Armenisches Panorama“. Während zwei davon (sehr symbolbeladene und patriotische Filme) von der offiziellen Armenian Panorama Jury ausgezeichnet wurden (Golden Apricot als bester armenischer Spielfilm an „Good Morning“ von Anna Areyshatyan und Lobende Erwähnung für „28:94 Local Time“ von David Safarian), gingen sie sowohl bei der FIPRESCI als auch bei der Ökumenischen Jury leer aus.

Preis der Ökumenischen Jury für „Mamiroo“

"Mamiroo”" (Immortal) von Seyed Hadi Mohaghegh (Iran 2015), der auch von der Internationalen Spielfilmjury mit einer Silberner Aprikose ausgezeichnet wurde, hat den Preis der Ökumenischen Jury  gewonnen. Der Film spielt in einer grandiosen Landschaft, wo zwischen Bergen ein kleines Dorf liegt und ein einsamer Baum steht. Die Rituale – Zeremonie zur Hochzeit (ein Enkel heiratet sehr früh ein Mädchen, damit der sterbende Großvater noch einmal eine Familienfeier erlebt), Heilungs- und Beerdigungsrituale, das auf Tonband aufgenommene Lied der verstorbenen Frau und ihr sorgfältig aufbewahrter Zopf – das alles hat eine authentische Wirkung, die die existentiellen Fragen auf eine sehr natürliche, fast dokumentarische Art und Weise in den Mittelpunkt setzen. „Der Film handelt von einem sechzigjährigen Mann, der sein Leben beenden will, weil er sich am Tod seiner Familie schuldig fühlt. Er schildert familiäre Bindungen und offenbart uns die Menschlichkeit und Würde der einzigen überlebenden Person, des Enkelsohnes, der seine ganze Liebe dem sterbenden Großvater widmet. Dem Film gelingt es, seine Intentionen in einer eindrucksvollen ästhetischen Qualität zu vermitteln. Sein östlichen Traditionen verpflichteter Stil erzeugt Bilder von großer Lebendigkeit, in denen uns die wesentlichen Fragen von Leben und Tod begegnen“ formulierte die Jury als Begründung für ihre Wahl.

Weitere Preise

Die Goldene Aprikose verlieh die Internationale Spielfilmjury an "Imena višnje" (Sauerkirschen) von Branko Schmidt aus Kroatien, der auch den Preis der FIPRESCI-Jury erhielt. Ein Film, in dem Treue und Anhänglichkeit eines älteren Ehepaares, das nach dem Krieg in sein Heimatsdorf zurückkehrt, gezeigt wird und der Vergleiche mit Michael Hanekes “Amour” und Andrew Haighs “45” nahe legt. Der Film lebt von den hervorragenden Schauspieler (Ivo Gregureviš und Nada Durevska), über deren Auswahl der Regisseur sagt: “Die Arbeit mit älteren Schauspielern ist ebenso schwierig wie diejenige mit Kindern. Wenn die Wahl nicht richtig gewesen ist, kann ihnen keiner helfen, selbst Gott nicht“. Eine Auszeichnung, welche die Ökumenische Jury vor allem auch deshalb freute, weil der Film bereits den Preis der Ökumenischen Jury in Cottbus 2015 erhalten hatte, in welcher die Autorin dieses Berichts ebenfalls mitwirkte.

Ein sehr aktueller Film und einer der professionellsten, den die Ökumenische Jury intensiv diskutiert hat und der von der Spielfilmjury mit einer Special Mention hervorgehoben wurde, ist “The Prosecutor, The Defender, The Father And His Son” der bulgarischen Regisseurin Iglika Triffonova. Man sieht einen spannenden Kampf zwischen einer französischen Anklägerin (Romane Bohringer) und einem dänischem Anwalt (Samuel Froeler) im Haager Tribunal gegen Verbrechen des Serben Milorad Krstič während des Bosnienkrieges. Der Prozess erfährt eine krasse Wende, als es dem Anwalt gelingt, aus einem Dorf die Eltern eines Jungen, dem wichtigsten Zeugen, der nach Krstič Befehlen gehandelt hat, zu holen. Der Kameramann Rali Raltschev zeigt den Gerichtsraum als eine Kathedrale, in welchem zwei Geistliche verschiedener Religionen Schach spielen. Und alle einfachen Leute sind die „Bauern“ in diesem Spiel…